Allgemeinplätze als Orte des kollektiven Verhandelns. Das Freiburger Symposion „A Commonplace is not a Cliché“

Displaymodul für eine Videoarbeit von Michael Auder, Installationsansicht im Basler Hof, Freiburg, Juli 2021, Foto: Karolina Sobel
Thema > Biennale für Freiburg
16. Juli 2021
Text: Sascia Bailer

A Commonplace is not a Cliché – Perspektiven auf Öffentlichkeiten, asynchrone Allgemeinplätze und infrastrukturelle Intimitäten.
10. bis 11. Juli 2021
Basler Hof, Freiburg.

www.biennalefuerfreiburg.de

Vortragende:
Mirela Baciak, Christoph Chwatal, Elke Krasny, Sven Lütticken, Viktor Neumann, Karina Nimmerfall, Lisa Stuckey, Simon Strick, Karen van den Berg.

Workshops
von Ronja Andersen & Marius Schwarz, Claudia Barth & Hanne König, Lou von der Heyde & Daniel Vollmer.

Konzept:
Christoph Chwatal & Lisa Stuckey, eingeladen von Leon Hösl.

Szenografie:
Diane Hillebrand, Filminstallation: Michel Auder, May ’68 in ’78 (1978/2019), edited by Michael Stickrod, Rekonstruktion von Julius Martin-Humpert.

In Kooperation mit der
Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.

Biennale für Freiburg #1, Symposion „A Commonplace is not a Cliché“ im Innenhof Basler Tor, Freiburg, Foto: Karolina Sobel
Biennale für Freiburg #1, Symposion „A Commonplace is not a Cliché“ im Innenhof Basler Tor, Freiburg, Foto: Karolina Sobel
Biennale für Freiburg #1, Symposion „A Commonplace is not a Cliché“ im Innenhof Basler Tor, Freiburg, Foto: Karolina Sobel

Am zweiten Wochenende im Juli fand im Rahmen der BfF#1 – Biennale für Freiburg im Basler Hof in Freiburg das Symposion „A Commonplace is not a Cliché“ mit Workshops statt. Unter den mehreren Dutzend ziemlich begeisterten Teilnehmer*innen war auch die Kuratorin Sascia Bailer (*1988), die u.a. am Haus der Kulturen der Welt in Berlin, am MoMA P.S.1 in New York, aber auch am Theater Freiburg an der Realisierung von Projekten an der Schnittstelle von öffentlichem Raum, zeitgenössischer Kunst und sozialer Gerechtigkeit engagiert war. Derzeit promoviert Bailer an der Zürcher ZHdK. Für artline.org besuchte sie das Symposion und schickte uns ihren Bericht:

„Als ich über den vollen Freiburger Münsterplatz schlenderte und Richtung Basler Hof blickte, sah ich nur einen gelben Vorhang. Nach kurzer Verunsicherung lief ich durch die wehenden Tücher und stand in einem Innenhof, der mit Campingstühlen versehen war und von kleinen Grüppchen übersät, die sich rege unterhielten, Butterbrezeln aßen und Kaffee tranken. Nach eineinhalb Jahren Pandemie war diese Geselligkeit ein magischer Moment. Mich erwartete nicht ein Symposium, sondern ein Symposion, das der Künstlerische Leiter der Biennale für Freiburg Leon Hösl – unter Rückbezug auf den griechischen Ursprung des Wortes – als „einen Anlass des Zusammentreffens und des Austauschs, des zusammen Trinkens und Essens“ bezeichnete.

Das dreigliedrige Tagesprogramm „A Commonplace is not a Cliché“ der ersten Biennale für Freiburg wurde von Christoph Chwatal und Lisa Stuckey konzipiert und vereinte wissenschaftliche, aktivistische und kuratorische Stimmen, die sich mit Öffentlichkeiten, asynchronen Allgemeinplätzen und infrastrukturellen Intimitäten beschäftigten. Nach einer Einführung in das jeweilige Panel erwarteten die Besucher*innen jeweils zwei bis drei Kurzvorträge, die von einer anschließenden Diskussion gefolgt wurden:

Das erste Panel unter der Leitung von Christoph Chwatal beschäftigte sich mit Öffentlichkeiten und Versammlungskrisen; der Vortrag der Kunsttheoretikerin Karen van den Berg befragte die Arbeitsumgebungen von künstlerischen Praktiken, die vermehrt das „Studio als Enklave“ verlassen, um alternative gesellschaftliche Situierungen von Kunst auszuloten. In „Imagined Assemblies – Between Crowds and Networks“ ging der Kunsthistoriker Sven Lütticken dem Spannungsfeld nach, das sich zwischen parlamentarischen Öffentlichkeiten und lokalen Protestbewegungen aufspannt, die wiederum häufig ihren Ursprung in digitalen Netzwerken haben. Die rechtspopulistische Gefahr, die von sozialen Medien ausgeht, ist auch der Fokus des Medienwissenschaftlers Simon Strick, der im zweiten Panel – unter Einführung von Lisa Stuckey – die Commons nicht nur als linkes Konzept präsentiert, sondern auch eins, das von den „alternativen Rechten“ für antidemokratische Zwecke instrumentalisiert wird.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt der Veranstaltung zeigte sich, dass die gesetzten Themen, wie digitale und physische Räume sowie Assemblies und Öffentlichkeiten, nicht nur inhaltliche Schwerpunkte darstellten, sondern auch die Rahmenbedingungen der Veranstaltung selbst waren. Bei der Fragerunde nach Simon Stricks Vortrag zur „neuen Rechten“ fing der benachbarte Münster unerlässlich an zu läuten und brachte die Diskussion zwangsläufig für einige Minuten zum Schweigen; der digitale Beitrag der Künstlerin Karina Nimmerfall entzog sich der technischen Kontrollierbarkeit und war nur teilweise zu hören. So rückte der antagonistische Charakter von öffentlichem – und digitalem – Raum immer wieder in den Vordergrund und ließ die Fragen des dritten Panels nach infrastrukturellen Intimitäten noch dringlicher erscheinen.

Mirela Baciak skizzierte in ihrer Einführung das fragile Gefüge kuratorischer Praxis, bestehend aus künstlerisch-sozialen Prozessen im öffentlichen Raum, affektiven Beziehungen zu Publikumsgruppen und dem Potential von Gewalt, das bei „Intimitäten“ stets mitschwingt. In ihrem Vortrag spürte die Kulturtheoretikerin und Kuratorin Elke Krasny den unsichtbaren Infrastrukturen nach, die als „Ökologien des Unterstütztseins“ die Grundlagen für unsere Existenz und unser Handeln darstellen. Gefolgt wurde ihr Beitrag von Viktor Neumann, der eigene kuratorische Projekte vorstellte, die sich mit queeren Zeitlichkeiten auseinandersetzen – und damit als Plädoyer für alternative Zukünfte gelesen werden konnte.

Eine Konstante in den Diskussionsrunden mit dem Publikum war die Frage nach individuellen und kollektiven Handlungsräumen. Wie können wir – in diesen konfliktreichen Sphären des Öffentlichen, des Digitalen, des Intimen – Schritte gen soziale und ökologische Gerechtigkeit vollziehen? Welche Rolle kann künstlerische und kuratorische Praxis darin spielen? Ist unser Alltag Ausgangs- oder Endpunkt eines transformativen Prozesses?

Ebenso wie das Symposion dazu aufforderte Öffentlichkeiten und Allgemeinplätze nicht lediglich als Themen, sondern auch als infrastrukturelle Rahmenbedingungen der Veranstaltung zu begreifen – die durchaus zu Reibungen führen können – so müssen wir diese Fragen als dringende Einladung verstehen, uns jenen kollektiven Aushandlungsprozessen zu widmen. Denn (demokratische) Allgemeinplätze bedürfen ständiger, kollektiver Verhandlung, um eben nicht als Klischee entleert zu werden.