Eine neue ethische Sichtweise auf die Welt präsentieren: Inés de Castro, Direktorin des Stuttgarter Linden-Museum, über das „schwierige Erbe“der Sammlung

Schwieriges Erbe, Inszenierung Karl Graf von Linden im Linden-Museum, Stuttgart, © Linden-Museum, Stuttgart, Foto: Dominik Drasdow
Interview
14. Juli 2021
Text: Annette Hoffmann

Schwieriges Erbe. Linden-Museum und Württemberg im Kolonialismus.
Linden-Museum, Hegelplatz 1, Stuttgart.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 8. Mai 2022.
www.lindenmuseum.de

Erste Dauerausstellung in der Gewerbehalle, nach 1899, © Linden-Museum Stuttgart
Buddha-Figur, Peking, Tibet, Slg. Carl Waldemar Werther, 1901, Inv.Nr. 1, © Linden-Museum, Stuttgart, Foto: Dominik Drasdow
Inés de Castro, Foto: Harald Völkl

Der Ethnologe Friedrich Kußmaul, von 1971 bis 1986 Direktor des Stuttgarter Linden-Museums, bezeichnete die Restitution von Raubkunst einmal als eine „noble Geste“. Die Zeiten haben sich geändert. Aktuell beleuchtet die sehenswerte Ausstellung „Schwieriges Erbe“ im LInden-Museum das Zustandekommen der eigenen Sammlung, zu der sowohl Benin-Bronzen als auch Objekte vom Bismarck-Archipel gehören. Annette Hoffmann sprach mit Inés de Castro, die das Haus seit 2010 leitet und 2018 einen Ruf als Sammlungsleiterin im Humboldt Forum Berlin ablehnte, über dieses Ausstellungsprojekt und über Restitution.

artline: Frau de Castro, das Linden-Museum zeigt aktuell die Ausstellung „Schwieriges Erbe. Linden-Museum und Württemberg im Kolonialismus“. Worin besteht dieses „schwierige Erbe“?

Inés de Castro: Das Linden-Museum ist eine Gründung der Kolonialzeit und hat so in der Vergangenheit nicht nur die Machtstrukturen dieser Zeit reproduziert, sondern auch seinen Teil dazu beigetragen, eine Hierarchisierung zwischen dem Westen und dem globalen Süden zu verfestigen. In der Ausstellung setzen wir uns damit selbstkritisch auseinander. Sie geht auf die Arbeit unsere Provenienzforschung und auf eine Studie zu Württemberg in der Zeit des Kolonialismus zurück, die wir in Auftrag gegeben haben.

artline: Friedrich Kußmaul dürfte auch zu diesem schwierigen Erbe gehören.
De Castro: Unter seiner Leitung wurde das Linden-Museum 1973 eine staatliche Einrichtung, die zu gleichen Teilen vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart finanziert wird. Bis dahin stand es unter der Trägerschaft des Württembergischen Vereins für Handelsgeographie. Dass es Friedrich Kußmaul gelungen ist, das Haus unter öffentliche Trägerschaft zu stellen, ist sehr positiv, aber ansonsten war er ein umstrittener Direktor.

artline: Heute können ethnologische Museen Vorreiter in neuen Formen der Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern sein, indem sie eine neue ethische Sichtweise auf die Welt präsentieren. Restitution scheint jeweils das Ergebnis eines komplexen Meinungsfindungsprozesses zu sein. Sind es gerade gute Zeiten für Restitution?
De Castro: Restitution ist sehr wichtig, wir nehmen die Forderungen nach Restitution ernst. Wir wollen wissen, was für eine Sammlung wir haben und wie sie zustande kam. Jetzt besteht die große Chance, eine breite gesellschaftliche Diskussion zu fördern. Das schwierige Erbe verpflichtet uns, einerseits mit den Herkunftsgesellschaften der Objekte zu sprechen, andererseits mit der Stadtgesellschaft. Wir bestehen nicht auf einer Deutungshoheit, sondern teilen sie, wir möchten neue Perspektiven und eine Mehrstimmigkeit ermöglichen. Daher versuchen wir neue Formen von Partnerschaft mit dem globalen Süden zu etablieren und zugleich die Themen in die Gesellschaft tragen. Wir schlagen neue Wege der Präsentation und Partizipation ein.

artline: Das Linden-Museum ist Mitglied der Benin Dialogue Group, deren Name bereits das Prinzip des Dialogs andeutet, was hat es mit dieser Gruppe auf sich?
De Castro: Die Benin Dialogue Group ist Teil eines neuen Netzwerks aus europäischen Museumsvertretern und Repräsentanten Nigerias, das auf gegenseitigem Respekt beruht. Über Restitution zu sprechen, war eine Initiative der Museen, dass sie von der Politik unterstützt wird, hat uns sehr gefreut. Wir versuchen Netzwerke nachhaltig zu gestalten und zu verfestigen. Diese Prozesse stellen für alle Museen eine große Herausforderung dar.

artline: Wie werden die europäischen ethnologischen Museen aussehen, wenn restituiert wird?
De Castro: Museen zeigen immer nur einen geringen Bestandteil ihrer Sammlungen. Es gibt also noch genügend Objekte. Außerdem arbeiten wir an neuen Formen des Sammelns in enger Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften. Das heißt, wir vergeben Auftragsarbeiten oder sammeln mit anderen Museen gemeinsam und tauschen die Objekte untereinander aus. Auch so kann die Sammlung wachsen.