Kulturelle Schuld für Jahrhunderte

Bücher
13. Juli 2021
Text: Annette Hoffmann

Bénédicte Savoy, Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage, C.H. Beck Verlag, München 2021, 256 S., 24 Euro | 34.90 Franken.

Die Debatte um Restitution ist durch Impulskontrolle geprägt. Wie anders ist es denn zu verstehen, dass koloniale Bestände aus unseren Museen immer noch nicht zurückgegeben wurden? Was Bénédicte Savoy in ihrem Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage“ auf gut 250 Seiten darlegt, ist auch eine Erzählung über politische Debatten. Gleich in der Einleitung legt sie dar, wo wir heute stehen, standen wir vor 40 Jahren schon einmal. Denn nach dem Unabhängigwerden ehemaliger Kolonien wurde bereits Mitte der 1970er Jahre öffentlich ernsthaft diskutiert, afrikanische Kunst den Ursprungsländern zurückzugeben. Was folgte, war viel Rhetorik und eine Strategie des Aufschiebens. „Die Männer, die sich in Europa noch 1960 gegen Restitutionsgesuche aus ehemals kolonisierten Ländern stemmten, haben den nachfolgenden Generationen eine gigantische kulturelle Schuld hinterlassen“, schreibt Savoy.
Zusammen mit Felwine Saar hat Savoy im Auftrag von Emmanuel Macron einen Bericht zur Restitution afrikanischen Kulturguts verfasst. Die Kunsthistorikerin, die mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet wurde, kennt sich gleichermaßen gut in Frankreich und Deutschland aus; sie hat sowohl in Berlin als auch in Paris einen Lehrstuhl inne. „Afrikas Kampf um seine Kunst“ analysiert, wie sich die Reihen schlossen, wie gebunkert wurde und mit postkolonialen Stereotypen argumentiert wurde, sobald die eigenen Bestände betroffen waren. Sprache ist nicht neutral und hier ist sie insbesondere Ausdruck von Macht. Doch manchmal sind es eben auch Einzelgänger, die eine Debatte im Sinne der afrikanischen Länder los traten, wie etwa der ehemalige Leiter des Bremer Überseemuseums Herbert Ganslmayr oder Hildegard Hamm-Brücher, die in den 1980er Jahren Staatsministerin im Auswärtigen Amt war. Oder der britische Abgeordneter der konservativen Partei Edward Douglas-Scott-Montagu, der in einer Sitzung des House of Lords 1974 deutliche Worte fand: „Angesichts der Tatsache, dass diese Reliquien von der britischen Armee erbeutet wurden, dass sie ursprünglich also Kriegsbeute waren, frage ich die Regierung Ihrer Majestät, ob ihr bewusst ist, welche tiefen Gefühle die Asante mit der Rückkehr dieser hoch­heiligen Gegenstände verbinden, die ja die Seele des Asante-Volkes in sich enthalten sollen.“ Seine Anfrage versandete, schließlich wusste man in London, dass das British Museum mit den Elgin Marbles weitere Kulturschätze zweifelhafter Provenienz besaß. Die Rede jedoch wurde in Teilen in der „Times“ abgedruckt. Bénédicte Savoy zeigt überhaupt, wie wichtig es ist, solche Debatten demokratisch zu führen. Ihr Buch ist ein wichtiger Beitrag, sich kundig an ihnen beteiligen zu können.