Götz Aly: Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2021, 240 S., 21 Euro | ca. 32.90 Franken
Der Bismarck-Archipel muss einmal ein Paradies gewesen sein – bevor er so hieß. „Der Reichtum der Vegetation und des Meeres ermöglichte ihnen ein Leben, das nicht zu andauernder harter Arbeit zwang. Auf dieser Grundlage gediehen die bewundernswerten Techniken des Haus- und Schiffbaus, die schönen Künste, die kultischen Tänze, Feste und Totenrituale“, schreibt Götz Aly über seine Bewohner. Das Zitat ist dem Buch „Prachtboot“ des Berliner Historikers entnommen. Die hoch entwickelte Kultur Ozeaniens nahmen die deutschen Kolonialisten sehr wohl war. Das brachte einerseits die Argumentation durcheinander, es mit einer minderwertigen Kultur zu tun zu haben, schließlich konnten sie mit ihren Booten weite Strecken zurücklegen und andere Inseln besiedeln. Andererseits kam zu den kolonialistischen Tätigkeitsbereichen Ausbeuten und Vernichten noch das Plündern hinzu.
Obgleich Götz Aly das Buch aus einer persönlichen Motivation schrieb – sein Urgroßonkel gehörte als Militärgeistlicher der Kaiserlichen Kriegsmarine an und trug so seinen Teil zur Kolonisation bei –, ist es kein Zufall, dass ausgerechnet der Holocaust-Experte Aly diese Publikation veröffentlicht hat. Denn es gibt eine erschreckende Kontinuität vom Kolonialismus zum Nationalsozialismus. Beginnend mit der menschenverachtenden Ideologie bis hin zu den Anfängen der Anthropologie und den Auktionshäusern, in denen jeweils die kolonialistischen und nationalsozialistischen Beutezüge versteigert wurden. Während der von 1884 bis 1914 dauernden deutschen Kolonialzeit in Deutsch-Neuginea gelangten 65.000 Objekte aus der Südsee nach Berlin. Es ist ein bisschen Mode geworden, Objekte sprechen zu lassen. Edmund de Waal hat es mit seiner Familiengeschichte „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ getan und Neil MacGregor, Ex-Direktor des British Museum, erzählte in 100 Objekten eine Geschichte der Welt. Doch das Prachtboot der Bewohner Lufs in den Mittelpunkt zu stellen, hat eine besondere Brisanz. Seit es 1904 nach Berlin gelangte, ist es ein Prestigeobjekt, bis 2018 war es im Ethnologischen Museum zu sehen. Es war ein Besuchermagnet. 15 Meter lang, ohne Nägel zusammengefügt, zwei Segel, ist es ein Zeugnis vom Niveau des Handwerks und der Nautik, die aufgemalten Ornamente wiederum geben einen Einblick in die mythischen Vorstellungen der Bewohner Lufs. Seitdem befindet es sich im Humboldt Forum, wo es, so Monika Grüters, ein Stück Menschheitsgeschichte erzählen soll. Das tut es, aber auf für Deutschland wenig schmeichelhafte Weise. Bis vor kurzem hielt man in Berlin, daran fest, dass die Bewohner des Hermit-Atolls nicht mehr lebensfähig waren und keine Kinder mehr bekamen. So war es nicht ganz. Stattdessen wurden sie in so genannten Strafaktionen getötet und ihrer Lebensgrundlage beraubt, indem ihre Häuser, Gerätschaften und Boote verbrannt wurden und sie schutzlos dem Wetter ausgesetzt waren. Krankheiten kamen, Infektionskrankheiten, insbesondere Geschlechtskrankheiten. Lange galt die Formel: „Civilisation = Syphilisation“. War die einheimische Bevölkerung weitgehend dezimiert, wurde sie durch Zwangsarbeiter ersetzt, die die Kokosplantagen bewirtschaften mussten.
Götz Aly berichtet von Menschheitsverbrechen, Männerbünden und Seilschaften, die immer auch Geschäftsbeziehungen waren. Es gab Unternehmen, aber auch Einzelpersonen, die persönlich von den Kolonien profitierten. Richard Parkinson etwa schickte gut 350 Schädel aus der Südsee nach Deutschland, er hub ganze Friedhöfe dafür aus. Sie bildeten die Grundlage für die Rassenideologie der Nationalsozialisten. Was frappiert, ist, wie sehr damals und heute derartige Objekte dem nationalen Prestige dienten, unbesehen ihres Charakters als Kolonialbeute.
Weitere Leseempfehlungen:
Beute: Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe, Hg. von Bénédicte Savoy, Merten Lagatz und Philippa Sissis, Matthes & Seitz, Berlin 2021, 389 S., 38 Euro | ca. 51.90 Franken
Eine Weltgeschichte über Objekte, erzählt im Kontext ihrer Entstehung, Präsentation sowie im Spiegel der wechselhaften Eigentumsverhältnisse, in denen sie sich befanden, und der Besitzansprüche, die an sie gestellt werden. Diese den Gegenständen eingeschriebenen Beziehungen sind bis heute geprägt von Macht- und Überlegenheitsansprüchen.
(Post)Kolonialismus und kulturelles Erbe. Internationale Debatten im Humboldt Forum Carl Hanser Verlag, München 2021, 240 S., 18 Euro | ca. 31.90 Franken
Sammelband zur Eröffnung des Humboldt Forums Berlin mit Beiträgen von George Okello Abungu, Kwame Anthony Appiah, Philipp Blom, Hartmut Dorgerloh, Rita Eder, Hu Wei, Jyotindra Jain, Lars-Christian Koch, Lee Chor Lin, Neil MacGregor, Natalia Majluf, Wayne Modest, Nazan Ölçer, Barbara Plankensteiner, Thomas Thiemeyer und Abdoulaye Touré
Leitfadenzum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten Hg. v. Deutscher Museumsbund e.V., Berlin 2021, 220 S., PDF zum kostenlosen Download unter www.museumsbund.de
Restitution und Postkolonialismus www.zeitgeschichte-online.de/themen/restitution-und-postkolonialismus
Online-Dossier mit Beiträgen von Sophie Genske, Bénédicte Savoy, Gabriele Metzler, Nelson Adebo Abiti, Thomas Laely, Ellen Pupeter, Lars Müller, Aleida Assmann u.a.