Beat Zoderer: Die Schönheit im Unvermuteten

Beat Zoderer, Hologramm No. 1, 2000, Foto: Daniel Scheffold
Review > Ulm > Kunsthalle Weishaupt
1. Juli 2021
Text: Florian L. Arnold

Beat Zoderer: Visuelle Interferenzen 1990–2020.
Kunsthalle Weishaupt, Hans-und-Sophie-Scholl-Platz 1, Ulm.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 17.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 10. Oktober 2021.
www.kunsthalle-weishaupt.de
Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen, 100 S., 8 Euro.

Beat Zoderer, Möbiusschleife No. 1, 2010, Sammlung Siegfried und Jutta Weishaupt, © VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Daniel Scheffold
Beat Zoderer, Freistehendes Doppelpentagramm No. 1, 2017, Foto: Daniel Scheffold

Ist eine (Herma-)Haftetikette schön? Wir kennen die kleinen bunten Kleber; auf ihren ästhetischen Gehalt hin werden die nützlichen Alltagshelfer jedoch

nur selten befragt. Anders bei Beat Zoderer, der aus allen Arten von farbigen Haftklebern poetisch-sinnliche Tableaus entwickelt, indem er pro Motiv Hunderte von ihnen schichtet zu geradezu malerischen, subtilen Strukturen. Hieran zeigt sich die Bandbreite und Spielfreude des 1955 in Zürich geborenen Künstlers, dessen durchaus ironisches Spiel mit der Strenge und Rationalität der Konkreten Kunst zu befreienden, oftmals ganz heiteren Lösungen führt.

Die Ulmer Kunsthalle Weishaupt widmet dem Schweizer Künstler eine große Werkschau auf zwei Stockwerken. Der Ausstellungstitel deutet dabei sein Verfahren der Visuellen Interferenzen an. Dieser der Physik entlehnte Begriff meint Überlagerungs- und Überschneidungserscheinungen, und diese sind, auf Zoderer bezogen, von aufregend vielgestaltiger Art; selbst dort, wo der Künstler sich noch einmal auf bereits beschrittene Pfade begibt wie etwa in den „Raster“- und „Stempelung“-Arbeiten, die Ähnliches aus den 1980er und 90er Jahren aufgreifen, findet er im Zusammenwirken von Form, Farbe, Material und Raum stets neue visuelle Reize. Zoderer verwendet Materialien, die bereits eine Geschichte besitzen oder eher der Arte Povera zuzurechnen wären, eben besagte Haftkleber, daneben aber auch die Baumarkt-MDF-Platte oder vom Leben gezeichnete, lackierte Bleche, die er mit Bohrungen versieht. Das zuvor so triviale Ausgangsmaterial ist in die Mehrdeutigkeit erhöht, die den Arbeiten oftmals etwas Leichtes, Spielerisches gibt. Und sieht man sich das große Portrait des Künstlers in seinem Atelier an, das auf der ersten Ebene den Betrachter empfängt, so weiß man, dass Zoderer kein gestrenger Systematiker ist, der sich, wie man ihm früher bisweilen vorhielt, an den Resten der konstruktivistischen Moderne schadlos hält. Sein Atelier ist ein großes Spielzimmer, aus dem alles transformiert herauskommt, vom Reißnagel, der zum „Rasta“-Grafik wird, bis zu Ringlochverstärkern, die zu kleinformatigen, fern an Paul Klees ungegenständliche, späte Arbeiten erinnernden Motiven werden. Diese Komplexität wird in den „Zig Zag“-Gemälden ins Hypertrophe gesteigert.

Auch wenn Zoderer sich augenzwinkernd als „Nestbeschmutzer“ der Konkreten Kunst bezeichnete, so ist seine Kunst weit mehr als das Aufnehmen loser Enden jener Kunst, wie sie etwa Max Bill und Richard Paul Lohse hinterließen. Zoderers Arbeiten geben der geometrischen Abstraktion eine sinnlich-verspielte Dimension. Die unorthodoxe, gleichwohl durchdachte Materialauswahl, die vom Klebeband bis hin zu Bürozubehör (Merkzeichen in „Templiner Partitur“, 2000) und Holz aus dem Baumarkt oder vom Sperrmüll reicht, wird in Zoderers Behandlung zur großen Erzählung über die Möglichkeiten der Kunst an sich: Unsicherheit, Hintersinnigkeit, Instabilität, die Ordnung, die dem Chaos zustrebt. Die innere Ordnung der Werke scheint unter Opfern zu einer Form gefunden zu haben. Und diese scheint, wie in den energetischen Stahlbändern („Gestische Struktur“) und den raumplastischen Arbeiten („Möbiusschlaufe“) temporär zu sein: Das Stahlband könnte, so vermeint die Fantasie, jederzeit aufspringen und eine neue Form suchen, die farbigen Neonröhren auf dem raumgreifenden „Balloon No. 1“ von 2014 wirken wie Besucher auf dem prallen Gummileib, der selbst wie ein zwischengelandetes Ufo scheint. So ahnt man, von der kleinsten, kaum das Format A4 überschreitenden Reihe bis hin zur exorbitanten Wandarbeit „Horizontale Partitur,

5. Legung“, dass Zoderer mit „Inferrenzen“ nicht nur die Phänomene sich überlagernder Formen und Farben meint, sondern das gesamte Arbeiten und Leben des Künstlers, der jedem noch so banal scheinenden Fund- oder Alltagsgegenstand eine sinnlich-ästhetische Dimension abgewinnt. Und dies mit einer so verblüffend bekömmlichen Eleganz, dass man diese sehenswerte Ausstellung mit einem Lächeln verlassen wird.