Werk.Stoff: Preis für Malerei (zusammen mit Bradley Davies, Veronika Hilger, Ada van Hoorebeke und Anna Slobodnik).
Heidelberger Kunstverein, Hauptstr. 97, Heidelberg. Dienstag bis Freitag 12.00 bis 19.00 Uhr, Donnerstag 15.00 bis 22.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 13. Juni 2021.
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Der Totschal gehört zu Mojé Assefjahs Kindheitserinnerungen. Teheran wird vom Elburs-Gebirge überragt, das oft von Schnee bedeckt ist, so dass die Beschaffenheit des Gesteins, die Spalten und Grate, umso schärfer hervortreten. Sie habe sich damals, als sie noch in Teheran lebte, vom Gebirge umarmt gefühlt, sagt sie. Der Anblick muss die Wahrnehmung der 1970 geborenen Mojé Assefjah geprägt haben. Seit sie in den 1990er Jahren in München Malerei studiert hat, lebt sie mit Unterbrechungen in der Landeshauptstadt. Vielleicht auch, weil die Berge hier in nicht weit entrückter Ferne liegen.
Malerei ist ein stoffliches Unterfangen. Sie hat etwas mit den ersten Erfahrungen des Sichtbaren zu tun und mit der Tradition. Und malt man wie Assefjah in Ei-Temperatechnik, ist sie besonders stofflich. Es braucht Eier, Wasser und Leinöl, um die Pigmente derart opak erscheinen zu lassen. Sie selbst spricht von einem Laboratorium, das ihr zur Verfügung stehe. Wenn man Mojé Assefjah, die derzeit für den Werk.Stoff-Preis für Malerei der Andreas Felger Kunststiftung und des Heidelberger Kunstvereins nominiert ist, beim Malen zusehen könnte, sähe man, wie virtuos sie den Pinsel führt. Die präzisen Konturen betonen die Räumlichkeit der Flächen. Selbst die breitesten Pinsel werden zu einem kalligrafischen Werkzeug, mit dem sie Bögen und Schleifen staucht als wären sie fein gewobene Stoffe. Man könne Zufälle annehmen oder zumalen, sagt Mojé Assefjah, die jedoch immer die Grundkonzeption ihrer Bilder im Kopf hat, die auf dem Boden liegend entstehen.
Die Künstlerin stößt die Betrachterinnen und Betrachter geradezu auf den stofflichen Charakter ihrer Arbeiten, so sind in Heidelberg auch in weiße Farbe getränkte Tücher, die zu Knoten verschlungen sind, als Wandobjekte ausgestellt. Und auch als Installation hat man ihre Malerei bereits gesehen: als Bilder, die im Wind wehen. Je nach Hintergrund, Assefjah benützt oft unbehandeltes Leinen, aber malt manchmal auch direkt auf die Wand, treten die Flächen stärker oder schwächer hervor. Die Farben jedoch sind so ausdrucksstark als ob man ihnen das Stoffliche ansieht. Mit der Entscheidung für die Ei-Tempera-Technik geht bei Mojé Assefjah eine intensive Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte einher. Zwar findet sich auch die persische Miniaturmalerei als ein Einfluss, doch vor allem sind Assefjahs Bilder ein Dialog mit der europäischen Kulturgeschichte. Denn sie bezieht sich weniger auf die Abstraktion als etwa auf die Renaissance. Meist richtet sich ihr Interesse dabei auf den Hintergrund, auf das, zu dem sich das Bild weitet. Assefjahs Kompositionen greifen oft Details eines solchen Hintergrundes heraus, ein besonderer Flussverlauf, aber auch eine Ranke, die Karl Blossfeld in einem seiner Schwarzweiß-Aufnahmen der Neuen Sachlichkeit festgehalten hat. Waren bereits die Werke der Renaissance Fenster zur Natur, so öffnet Assefjah ein weiteres Fenster. Ihre Pinselschwünge umrahmen eine frei gebliebene Bildfläche, so als würde man auf dem Elburs-Gebirge stehen und auf die Metropole Teheran herunter schauen. Asefjah setzt mit ihren Pinselstrichen eine Rahmung und entgrenzt zugleich das Bild. Es ist dieses Paradox, das ihre Bilder derart attraktiv macht, der Zufall, den sie zulässt, die Freiheit, zugleich zu verhüllen und zu enthüllen. Der Stoff, der über einem Körper eine Falte wirft, die wiederum auf den Körper rückschließen lässt, der darunter verborgen ist.