Manchmal passiert alles gleichzeitig. Am letzten Aprilwochenende zum Beispiel fand in Berlin nach siebenjähriger Grundsanierung die offizielle Schlüsselübergabe im legendären Mies-van-der-Rohe-Bau der Neuen Nationalgalerie statt. Die Presse durfte sich in der aufwendig modernisierten und zugleich in den Originalzustand von 1968 zurückversetzten Architektur-Ikone schon mal umsehen und staunen angesichts der Haltbarkeit dieses Fanals der Transparenz. Im August 2021 wird die Neue Nationalgalerie unter anderem mit einer Soloschau von Rosa Barba für das Publikum öffnen.
In Zürich betraten am selben Aprilwochenende durch einen Tunnel aus Marmor die ersten Gäste den Erweiterungsbau des Kunsthaus am Heimplatz. Der mächtige Kubus mit der lichten Kalksteinfassade war hier in nur fünf Jahren auf einem ehemaligen Kasernenareal gegenüber des 1910 von Karl Moser entworfenen Stammhauses und des modernistischen Bührle-Saales der Gebrüder Pfister von 1958 entstanden. Den regulären Betrieb wird der Erweiterungsbau im Oktober aufnehmen. Aktuell ist er leer. Die Sofas stehen zwar schon, aber die Bilder und Skulpturen, die man von dort aus sehen könnte, warten noch geduldig im Depot. Die weitläufigen Säle und Treppenhäuser füllen bis Pfingsten allein die wuchtigen Glockenklänge, die der Künstler und Choreograph William Forsythe hier zum Sneak Peek durch den Neubau dröhnen lässt als gelte es, die Menschen mit dezent retro-romantischer Geste daran zu erinnern, dass Museen einst als Kathedralen oder Tempel der Kunst galten. Nicht zufällig hat Forsythe seine Housewarming-Installation „The Sense of Things“ genannt. Die Wahrnehmung von Kunst ist untrennbar verbunden mit ihren räumlichen Bedingungen und ihren materiellen Umgebungen.
Aber was hat das eine jetzt mit dem anderen zu tun? Was Berlin mit Zürich? Neben dem Echo der Zuversicht aus Vor-Corona-Zeiten, das von einem derzeit eher schwer vorstellbaren politischen und gesellschaftlichen Vertrauen in die enormen Bindekräfte der Kunst erzählt, ist es der Blick des Architekten. Tatsächlich wurden beide Projekte vom Büro des Briten David Chipperfield geplant und umgesetzt. Auf denkbar unterschiedliche und zugleich mimetische Weise. In Berlin nahm er Mies van der Rohes berühmtes letztes Werk komplett auseinander, um es auf dem aktuellsten Stand der Technik so nahe wie möglich an Mies’ Ideen wieder aufzubauen, samt originalgetreu nachgewebten Teppichböden und den eigens in China angefertigten, um die halbe Welt verschifften XXXL-Glasscheiben, welche die Architektur überhaupt erst zum Schweben bringen. In Zürich hingegen ließ sich Chipperfield für seinen Entwurf von den bestehenden Kunsthaus-Bauten inspirieren, die er am Heimplatz in einen Mehr-Generationen-Dialog über repräsentative Baukultur in einer offenen Gesellschaft verstrickt.