Kontamination: Die Haut als Grenze

Rindon Johnson, View out the slender window: There’s always a hair in the soup somewhere and some people are looking with a magnifying glass, 2019–fortlaufend, Ausstellungsansicht, Kontamination, Kunstverein Freiburg, 2021 Foto: Marc Doradzillo
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26. April 2021
Text: Annette Hoffmann

Kontamination.
Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21, Freiburg.
Dienstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 12.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 16. Mai 2021.

www.kunstvereinfreiburg.de

Purity and Contamination.
Gespräch mit Alexis Shotwell (online, mit Anmeldung) am 4. Mai 2021, 19.00 Uhr.

Hannah Black, Aeter (Jack), 2018, Videostill, courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi
Mire Lee, Untitled, 2021, Ausstellungsansicht Kontamination, Kunstverein Freiburg, 2021, Foto: Marc Doradzillo

Hätte die Ausstellung „Kontamination“ ein Totemtier, wäre es die Kuh. Denn sowohl Rindon Johnson (*1990) als auch Eoghan Ryan (*1987) beziehen sich in ihren Arbeiten auf die Kuh. Zufall? Eher nicht. Denn unser Verhältnis zur Kuh ist ein Test für unsere Zivilisation. Einer von Johnsons VR-Arbeiten liegt der Konflikt zwischen den Adara-Bauern und den nomadischen Fulani-Hirten in Westafrika zugrunde, der über politische, geografische und religiöse Grenzen hinaus ausgetragen wird. Während zwei doppelköpfige Kühe am Ufer entlang und aufeinander zu rasen und ein gläserner Kubus den Fluss hinunterjagt, hört man Stimmen, die von dem gegenwärtigen Krieg erzählen. Der Streit, der wie eine Wiederholung der Feindschaft zwischen Kain und Abel wirkt, wird durch den Klimawandel zusätzlich angeheizt. In Eoghan Ryans Video „Truly Rural“, das man im Kunstverein Freiburg stilecht auf einem Sofa aus Heuballen ansehen kann, werden an BSE erkrankte Rinder zu einem Sinnbild für unseren pervertierten Umgang mit Nutztieren. Andere Bildschnipsel der Videoarbeit sind Aufnahmen vom Karneval und seiner sehr ambivalenten enthemmten Atmosphäre. Alles hängt hier mit allem zusammen.

Upton Sinclair hat 1906 in seiner Kolportage „Dschungel“ das gleichermäßen menschen- wie tierverachtende System der Chicagoer Schlachthöfe beschrieben und auch während der aktuellen Corona-Krise sind die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie einmal mehr – und eher wohlfeil, da weitgehend folgenlos – kritisiert worden. Johnsons Szenario aus dem VR-Video „Meat Grower: A Love Story“ könnte da Abhilfe leisten, entwirft es doch die Zukunftsvision einer fleischproduzierenden Pflanze, die nur geerntet werden muss. Und doch machen sich die beiden androgynen Arbeiter über die Schmerzempfindlichkeit dieses Lebenswesens Gedanken.

Der Titel der Gruppenschau „Kontamination“ bezieht sich weniger auf die pandemische Situation als auf Systeme, die längst kontaminiert sind. Durch Gier und Rassismus sowie Kolonialismus. Versuchte die Moderne ein möglichst cleanes Image von sich zu konstruieren, schauen wir hier in ihre Schmuddelecken. Es sind jedoch Schmuddelecken, die von Theorie und Zeitgeist bereits ausgeleuchtet sind. Johnson, seinem Selbstverständnis nach auch Dichter, thematisiert über die Kuhhaut auch seine afroamerikanische Identität, die für ihn ein Beiprodukt der Sklaverei ist wie das Leder eines der Fleischindustrie. In Freiburg hängt nun Rohleder über zwei Schnüren, die an der Galerie befestigt sind. Ihre Oberfläche ist voller Narben und Schrunden, die dokumentieren, dass sie über Monate auf der Dachterrasse des Kunstvereins ausgebreitet und den verschiedensten Wetterlagen ausgesetzt waren. Und auch die Künstlerinnen und Künstler dieser Ausstellung zeigen ihre Wunden. Was bedeutet, dass mitunter mehr mit Analogien als mit Analysen gearbeitet wird. Das zumindest konnte die Moderne besser.

Und so wird auch in den Videos „Aeter (Sam)“ und „Aeter (Jack)“ von Hannah Black (*1981) die Hautfarbe durch Textpassagen von Oswald de Andrades „Manifesto Antropófago“ von 1928 angesprochen, das von Kannibalismus und Kolonialismus handelt. Die Haut ist hier Symbol für die Grenze zwischen Ich und Außenwelt, die in beide Richtungen überschritten wird. Während Jack von seiner Obsession des Nägelkauens erzählt, von der Lust und der Scham, wenn er dabei in der Öffentlichkeit ertappt wird, brauchte Sam nach einem Sportunfall eine Knochentransplantation. Er trägt also das Gewebe eines anderen Körpers in sich, Jack hingegen verleibt sich sein eigenes ein. Derweil verliert die Skulptur „Untitled“ von Mire Lee (*1988), die von der Decke des Kunstvereins zum Boden reicht, Teile ihrer selbst. Das kinetische Objekt, das aus Schläuchen, Stofffetzen, Kabeln und Ketten besteht, wischt dank verschiedener Schmiermittel über den Boden, wobei es sich zunehmen selbst auflöst. Das wäre dann kein System, das sich selbst stützt.

[Annette Hoffmann]