Corona Studios II: DELPHI_space

Thilo Jenssen, (o.T.), 2020, Courtesy the artist, Foto: © Valentin Fischer
Thema > Corona Studios II
22. März 2021
Text: Lou von der Heyde, Daniel Vollmer

DELPHI_space, Emmendinger Str. 21, Freiburg.
www.delphi-space.com

Der DELPHI_space wurde 2019 gegründet von Lou von der Heyde, Daniel Vollmer und Max Siebenhaar.

Johannes Otten, o.T., 2020, Courtesy the artist, Foto: © Valentin Fischer
Konrad Wallmeier, (o.T.), 2020, Courtesy the artist, Foto: © Valentin Fischer
Lexia Hachtmann, (o.T.), 2020, Courtesy the artist, Foto: © Valentin Fischer
Lou Hoyer, (o.T.), 2020, Courtesy the artist, Foto: © Valentin Fischer
Jenny Kasper, (o.T.), 2020, Courtesy the artist, Foto: © Valentin Fischer
DELPHI_space, Logo, Screenshot 2020, Foto: © Valentin Fischer

DELPHI_space ist ein analoger Ort der Begegnung. Das Element des diskursiven Austausches steht bei uns im Vordergrund. Als junger Verein ist es besonders schwierig, Fördermittel zu akquirieren. Daher haben wir eine Crowdfundigkampagne gestartet, in der uns die Solidarität unserer Gemeinschaft positiv überrascht hat. Neu kennengelernt haben wir die Initiative Kultur macht reich. Ebenfalls sind wir gespannt auf die kommenden Kooperationen im Zuge der Biennale für Freiburg. Wir möchten Kunst und Kultur im realen Raum platzieren und haben deshalb viel Zeit in eine Strategieentwicklung für die kommenden Monate investiert.



Fünf Fragen an DELPHI_space:

Habt ihr in den vergangenen sechs Monaten staatliche Hilfen beantragt? Wenn nicht, warum nicht – wenn ja, wurden sie bewilligt? Gab es in dieser Zeit ausgefallene oder verschobene Ausstellungen, Veranstaltungen, anderes?
Wir haben uns auf viele verschiedene staatlichen Hilfen und Förderungen beworben und zu unserer Erleichterung auch Unterstützung erhalten. Allerdings konnten wir die Nothilfeprogramme nicht für uns geltend machen, da wir uns als gemeinnütziger Verein mit kostenlosem Programm weder auf Umsätze, noch auf Umsatzausfälle berufen können. Ebenfalls stellte die erforderliche Mindestbestandszeit seit Januar 2019 für jüngere Vereine eine unüberwindbare Hürde für die Bewerbung auf Fördergelder von Land und Bund dar. Dementsprechend hatten wir es als junger, gemeinnütziger Verein nicht leicht bei der Beschaffung finanzieller Hilfen. Zum Glück hat unsere Crowdfunding-Kampagne im Herbst uns mit großer Solidarität und finanzieller Unterstützung beschenkt, wofür wir sehr dankbar sind.
Leider kam der Shutdown für Kultureinrichtungen für uns zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt – kurz vor der Zündung. Wir hatten schon mehrere spannende Ausstellungen an verschiedenen Orten in Freiburg und in Basel mit tollen Künstler*innen und Kollektiven geplant und arbeiteten auf deren Realisierung hin. Doch der Funken erlosch – vorerst. Denn wir können zumindest einige der Projekte zu gegebener Zeit nachholen und arbeiten schon an weiteren.

Hat sich euer Arbeiten während des letzten Jahres verändert? Wie?
Wie wahrscheinlich ausnahmslos geltend, hat sich auch unsere Arbeit im letzten Jahr stark verändert und war stets der Corona-Konjunktur unterworfen. Als Kulturraum, der vor allem auf den persönlichen Austausch bei Veranstaltungen und die Kunsterfahrung vor Ort setzt, fiel es uns nicht leicht, DELPHI_space über einen langen Zeitraum geschlossen zu halten. Während der Zeiten der Öffnung mit Einschränkungen haben wir Hygienekonzepte entwickelt, um ein möglichst sicheres Miteinander in unserem Raum zu gewährleisten. Seit November planen wir im Hintergrund fleißig an Projekten für die „Zeit danach“, setzen uns vermehrt mit möglichen Förderungen und Sponsoring auseinander, arbeiten an strukturellen Abläufen und neuen künstlerischen Kooperationen und verlegen zuweilen den Diskurs auch auf virtuelle Podiumsdiskussionen – wie wir sie mit dem Haus der Statistik, dem ZK/U in Berlin, der Polizeiklasse in Dresden und dem Gängeviertel in Hamburg hatten – und Workshops, an denen wir Erfahrungen und Wissen teilen und von anderen geteilt bekommen.

Wie habt ihr Solidarität erfahren?
Die bereits genannte Crowdfunding-Kampagne hat uns eindrucksvoll vor Augen geführt, wie sich das erweiterte Umfeld des DELPHI_space mit uns solidarisiert und uns in einer schwierigen Zeit den Rücken stärkt.
Direkt vor unserer Ladentür haben wir auch ein Beispiel von Solidarität erleben dürfen. Das Bücherregal am Tennenbacherplatz – für viele Quartiersbewohner*innen ein schöner und bedeutsamer Ort – brannte vor einiger Zeit ab. Der Quartierstreff hat uns engagiert, den Entwurf und die Realisierung des neuen Bücherschranks zu übernehmen. Wir sind glücklich über die Möglichkeit, gestalterisch auf einen kommunalen Ort einwirken zu können.

Welchen Einfluss hat der langfristige Lockdown auf den Austausch mit anderen? Was macht das mit der Kunstszene?
Gegenwärtig verändert die Technologie unsere Welt, wobei kein Bereich des alltäglichen Lebens unberührt bleibt – die Ausstellung der visuellen Künste ist da keine Ausnahme. Es bleibt jedoch zu hinterfragen, ob die digitalen Alternativen einen Ersatz für die traditionelle, persönliche ästhetische Beschäftigung darstellen.
1935 veröffentlichte Walter Benjamin den bahnbrechenden Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in dem er argumentierte, dass die Aura eines Kunstwerks durch seine massenhafte Verbreitung verunglimpft wird. „Noch bei der höchstvollendeten Reproduktion fällt eines aus“, schreibt er, „das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet.“
Die physische Präsenz eines Kunstwerks erlaubt es dem Betrachter, der Betrachterin, das Werk in seiner vollen, unersetzlichen Pracht zu begreifen, indem es seinen Maßstab, seine Lebendigkeit, seinen Affekt, sein Ambiente und jede andere Komponente, die seine besondere atmosphärische Erfahrung verkörpert, berücksichtigt. Die wesentliche Erfahrung der meisten Ausstellungen ist daher eine paradoxe Kombination aus Ungeheuerlichkeit und Intimität, die ständig aufeinanderprallen.
Über die Kunstwerke selbst hinaus trägt die kulturelle Praxis des Kunstbetrachtens bestimmte selbstverständliche soziale Werte in sich. Das Betrachten von Kunst ist typischerweise eine Aktion, ein Hobby oder ein Ereignis, bei dem Gruppen von Menschen zusammenkommen und sich über ihre Lieblingskunstwerke und -künstlerinnen austauschen. Der physische Besuch von Ausstellungen und das Betrachten von Kunst ist zu einem kollektiven Zeitvertreib geworden, der auf subtile Weise eine Vielzahl von Menschen vereint. Die einzigartige Umgebung einer Ausstellung und das unvermeidliche Gefühl der Verdrängung des Betrachters, der Betrachterin, aus seiner, ihrer, gewohnten Umgebung sind ebenso wichtige Faktoren. Das Gefühl der gemeinsamen Flucht in die imaginierte Welt eines Künstlers, das säkulare Ritual des ehrfürchtigen Zusammenkommens, der Dialog zwischen schmerzenden Füßen und glücklichen Augen. Anstatt materielle Kunstwerke in einem gemauerten Raum zu präsentieren, übersetzen digitale Ausstellungen traditionelle ästhetische Medien in digitale Arbeiten auf einem digitalen Bildschirm. In digitalen Ausstellungen kann zum Beispiel eine Person in einem Gemälde aus dem Rahmen verschwinden, zu einem Soundtrack tanzen oder sogar mit den Besucher*innen interagieren und ihnen ein Gefühl des direkten Eintauchens vermitteln.
Was passiert, wenn aus der medialen Repräsentation einer Ausstellung ein intimeres, durchdachteres und nachhaltigeres ästhetisches Verständnis entsteht als aus einer direkten Erfahrung des Werkes? Ist es Aufgabe des Konsumenten, der Konsumentin, die Aura eines Kunstwerks zu bezeugen, oder kann eine authentische Kunsterfahrung aus Zeitschriften, dem Internet, Büchern und Gesprächen stammen? Welche Rolle spielen die Mittel und Kontexte der Präsentation für die Vermittlung von Kunst? Haben Kunstinstitutionen immer noch eine herausragende Rolle in einer Welt, in der die direkte Lieferung von digitaler Kunst über das Internet den Betrachter näher an Kunstobjekte heranführen kann als je zuvor?

Die Kultur- und Kunstszene war schnell und hart vom Lockdown betroffen und ist es nach wie vor, bislang unabsehbar. Ist das okay, oder wie hätte ein anderer Umgang mit Kunstschaffenden aussehen können? Wie soll es weiter gehen, was muss anders werden?
Corona versetzt Deutschland und die Welt in einen Ausnahmezustand und das kollektive Rauschen zieht sich bis auf weiteres in die Quarantäne zurück. Desinfektionsmittel, Querdenker*innen, Abstandsregeln, Maskenball und ein sich kontinuierlich verlängernder Lockdown sind zu unserer Normalität geworden. Die Konsequenzen zeigen sich in einer unverhofften Renaissance des Biedermeiers. Homeoffice und die Schließung der Kitas werfen die Errungenschaften der Emanzipation und des Feminismus um ein halbes Jahrhundert zurück. Währenddessen hält die ganze Kulturszene die Handbremse gezogen.
Die Künstlerin Mia Florentine Weiss bringt die Gefühle ihrer Koleginnen und Kollegen so auf den Punkt: „Kunst ist systemrelevant. Sie ist der älteste, kleinste gemeinsame Nenner, den wir haben. So lange Kreativität in der Luft liegt, atmen wir. In dem Zuge würde ich gerne das Wort systemrelevant ändern – in humanrelevant. Kunst ist humanrelevant.“
Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg spielten Kultur und Kunst als Wahlkampfthemen kaum eine Rolle. Bestimmt gibt es in Pandemie-Zeiten dringlichere Aufgaben der Politik, doch wird die Rolle der Kultur auf längere Sicht unterschätzt. Ein Sterben der Kunst- und Kulturräume wird langfristig das seelische Wohl der Bevölkerung beeinträchtigen. Deshalb bedarf es auch von politischer Seite einen Plan und die Unterstützung für Kunst und Kultur.
Amazon rauscht von Spitzenumsatz zum Marktmonopol, Spotify und Tinder werden zu Wahrzeichen und Mahnmälern unserer Zeit. Netflix & Chill für immer? Wir sollten uns klar sein, dass es an uns liegt, ob die Zeit nach Corona schöner, bewusster, gleicher, fairer, nachhaltiger und diverser wird als die, mit der wir uns lange zufriedengegeben haben.



Corona Studios II ist ein Projekt der Redaktion artline.org,
ermöglicht dank großzügiger Unterstützung vom Kulturamt der Stadt Freiburg.