Andrea Hess, *1967, lebt und arbeitet in Freiburg.
www.andreahess.de
Neue Arbeiten von Andrea Hess sind bis zum 7. Mai 2021 in ihrer Soloschau „Nach Strich und Faden“ bei Galerie G, Freiburg, zu sehen
Fünf Fragen an Andrea Hess
Hast du staatliche Hilfen beantragt? Gab es ausgefallene oder verschobene Ausstellungen, Veranstaltungen, Stipendien, Jobs, Reisen, gab es Verkäufe?
Meine Teilzeitstelle im Freiburger Münsterbauverein ermöglichte mir ohne staatliche Hilfe auszukommen.
Drei Ausstellungen im Freiburger Raum wurden um ein Jahr verschoben, drei Ausstellungen in Italien um hoffentlich nicht viel länger. Verkäufe gab es daher mangels Gelegenheit nicht, zumal ich mit der Vorbereitung der soeben eröffneten Ausstellung in der Galerie G in Freiburg beschäftigt war. Sie startete mit einem Monat Verzögerung glücklicherweise quasi planmäßig.
Was das Reisen angeht, so haben mir meine regelmäßigen Fahrten nach Italien sehr gefehlt.
Hat sich deine Arbeit während des letzten Jahres verändert?
Ja, sehr. Und ich bin ausgesprochen dankbar für diese Zeit, die ich nach kurzer Schockstarre sehr genossen habe. Die Arbeit bewegte sich zwischen Homeoffice und Atelier, auch kulturelle Ereignisse hatten kurze Wege, da sie entweder in Form von wunderbaren Filmen, Büchern oder Musik zuhause stattfanden. Reisen und Freizeittätigkeiten ließen sich zu einem beinahe täglichen Spaziergang nach Günterstal in den Kräutergarten des Klosters St. Lioba zusammenfassen. Die einzige Entscheidung war: der obere oder der untere Weg im Sternwald? Den Klostergarten im Sonnenlicht, bei Regen, mit Sturm, im Nebel, in der Dämmerung, im Mondlicht, mit Schnee. Und dann war da noch mein Garten, der umgegraben werden wollte und mir zum Dank Früchte und Blumen schenkte. Und Ruhe.
So wurde das letzte Jahr für mich zu einer Reise ins Innere und der Beginn einer neuen künstlerischen Ausdrucksform, bei der ich mich sehr zuhause fühle. Dem freien Nähzeichnen. Meine Nähzeichnungen entstehen assoziativ zu einem inneren Bild. Es gibt einen ersten Impuls, um den sich anschließend der Faden entwickelt. Hierbei lasse ich mich von einem Zusammenspiel aus Gedanken, Musik, Erinnerung, Neugier, Überraschung, Formgebung und nicht zuletzt der Technik leiten. Entscheidend ist tatsächlich, den inneren Faden nicht zu verlieren.
Da der Zeichengrund in Bewegung ist, muss exakt das im Sichtfeld entstehen, was im Moment des unter der Nadel vorüberziehenden Stoffes von innerster Bedeutung ist. Es ist wie ein Film, den man in seiner Bewegung materialisieren möchte.
Da ich seit frühester Jugend nähe und die Nähmaschine schon immer zu meiner künstlerischen Arbeit gehört, ist mir der Umgang mit ihr sehr vertraut. Der für mich entscheidende Unterschied zum Stift ist, dass die Nähmaschine nicht, wie die Hand, mit dem Gehirn verbunden ist. Sie „weiß“ also nichts und gestattet den Händen lediglich, den Stoff zu führen. Durch ihre Eigendynamik und die eingeschränkte Sichtbarkeit der entstehenden Linie, befreit mich die Nähmaschine von dem Wissen um die Dinge und ihre erlernte Ordnung. Somit lässt sie neue Zusammenhänge entstehen.
Wichtig ist, den Faden niemals abzuschneiden, sodass zwar Schlingen und Verbindungsfäden entstehen können, es aber nur EINEN Anfang und EIN Ende gibt. Wie im richtigen Leben.
Wie hast du Solidarität erfahren?
Nicht wesentlich anders als sonst. Es gibt solidarische und unsolidarische Menschen. Die Anteilnahme Gleichgesinnter hat Verbundenheit geschaffen und Verbindlichkeit gefördert.
Welchen Einfluss hat der langfristige Lockdown auf den Austausch mit anderen? Was macht das mit der Kunstszene?
Der Austausch mit anderen hat sich für mich nur in der Form verändert. Man redet beim Spaziergang anstatt bei einem Glas Wein, was ja auch gesünder ist.
Was das mit der Kunstszene macht, kann man erst beurteilen, wenn es wieder eine Öffentlichkeit gibt. Ich freue mich wieder auf Begegnungen und Gespräche in Galerien und Museen mit einigen Menschen, die ich nun lange Zeit nicht mehr gesehen habe.
Die Kultur war schnell und hart betroffen und ist es nach wie vor, bislang unabsehbar. Wie hätte ein anderer Umgang mit Kunstschaffenden aussehen können? Wie soll es weiter gehen, was muss anders werden?
Die Haltung gegenüber Kulturschaffenden vor Corona ist der Ausgangspunkt, der zur Zeit ungeschminkt in Erscheinung tritt. Der Lockdown hat jeden auf sich zurückgeworfen und vor Augen geführt, dass eine Gesellschaft komplett ins Wanken geraten kann. Es ist ein Privileg kunstschaffend zu sein, das man sich leisten können muss.
Man sollte versuchen aus der Situation zu lernen. Die Fragen nach dem Stellenwert von Kultur in der Gesellschaft und der Finanzierung in Notzeiten haben sich klar konturiert. Kultur lebt vom Austausch und das letzte Jahr hat vielen, abgesehen von existenzieller Not, das Gefühl vermittelt überflüssig zu sein. Auf die Kunst bezogen wäre wichtig, dass eine Stadt ihre Künstler durch Ankäufe in das Gefüge bettet und Möglichkeiten eines Miteinanders (z.B. Stadthalle zu einer Art E-Werk Ost umzuwidmen) schafft.
Hilfe in Notzeiten sollte unbürokratisch geleistet werden, über die Form müsste nachgedacht werden. Die Frage ist sehr komplex und ruft nach einem runden Tisch mit Kulturschaffenden und Verwaltenden. Es ist Zeit für eine konstruktive Auseinandersetzung.
Corona Studios II ist ein Projekt der Redaktion artline.org,
ermöglicht dank großzügiger Unterstützung vom Kulturamt der Stadt Freiburg