Gegen die Wand: Ein künstlerischer Dialog mit dominanter Architektur

Franziska Reinbothe, ohne Titel, 2020, © Franziska Reinbothe, Courtesy the artist & Galerie Kim Behm, Mannheim, Foto: Fred Dott, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Review > Hamburg > Hamburger Kunsthalle
14. März 2021
Text: Karin Schulze

Die absurde Schönheit des Raumes: 7 Künstler:innen vs. Ungers.
Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall 5, Hamburg.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 9. Mai 2021.

www.hamburger-kunsthalle.de

Claudia Wieser, ohne Titel, 2020, © Courtesy the artist & Marianne Boesky Gallery, NY
Dominik Halmer, Werke, 2020, Foto: Fred Dott, Courtesy the artist, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Helga Schmidbauer, Detail aus ARCHE endemisch, 2020, Foto: Fred Dott, Courtesy the artist, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020

[—artline Nord] Die Lage ist 1a, die Architektur ist es nicht. Oswald Mathias Ungers (1926–2007), dem mit seinem Kölner Wohnhaus eine elegante, von dichtem Grün gerahmte Villa gelang, hat bei der Galerie der Gegenwart, dem Erweiterungsbau der Hamburger Kunsthalle (1997), seine Liebe zu Quadrat, Kubus und Rechteck ausufern lassen. Die Kalksteinfassade, wohl von einer Skulptur von Ulrich Rückriem inspiriert, ist von Fensterbändern waagerecht und senkrecht wie perforiert. Sie könnte anmutig wirken, wäre die helle, hehre Kiste nicht auf einen monströsen, rötlichen Granitsockel aufgebockt. Dazu gibt das Innere eher der Ästhetik des Architekten Raum, als der Kunst. Der Kästchenmodus wird durchexerziert: in Bodenplatten, Decken und Fenstern. Einige sind tief am Boden angesetzt. So wirken sie bäurisch derb, während sie sehnsüchtig ins Freie schweifende Blicke schwerblütig in dicke, dunkle Rahmen sperren.

Nun übt die Ausstellung „Die absurde Schönheit des Raumes“, zumindest explizit, keine Architekturkritik, mit ihr folgt Kunsthallendirektor Alexander Klar aber dem naheliegenden Impuls, die Gestalt des Baus zu thematisieren. Dafür sind Zwischenwände und Fensterabdeckungen entfernt. Die offene Raumfolge einer lichtdurchfluteten Tageslichtgalerie, wie der Meister sie konzipierte, liegt frei. Und sieben Künstler:innen wurden eingeladen, „vs. Ungers“ zu arbeiten: also gegen die oder zumindest gegenüber der Architektur.

Gleich zu Beginn Helga Schmidhubers Arche-Installation: gern im Selfie verewigt, aber nicht wirklich bildmächtig. Gemälde mit Tiermotiven, Voodoo-Objekte, Bodenzeichnungen und das legendäre Walross Antje in Gestalt des Präparats aus dem Zoologischen Museum. Dieses Boot ist ästhetisch überfrachtet: Antje allein im Saal – das hätte es für den Clash von eckig-eherner Architektur und verletzlicher Kreatur auch getan.

Formal überzeugender kommen die nächsten Arbeiten daher. Claudia Wieser lässt geometrische Formen zwischen vasenartigen Objekten, einer Fliesenwand und einem Edelstahlwürfel hin und her wandern. Dominik Halmers Wandarbeiten spielen intelligent mit virtuellem und realem Raum, Zwei- und Dreidimensionalität. Dana Greiner lässt ihre neonbunten Farbwelten multisensorisch von Licht, Videos, Klängen, Möbelobjekten mit Fransenborte, Fetisch- und Nachtlebenassoziationen umfließen. Und Jan Albers, der seine Materialien gern auch mal mit der Kettensäge attackiert, hat eine Reihe kraftaktgezeugter Reliefs in hyperästhetischen Arrangements still gestellt. Diese vier weitgehend von geometrischen Formen ausgehenden Künstler:innenpositionen führen allerdings tief in ihre eigene ästhetische Gegenwelt hinein und ziemlich weit weg von der sie umgebenden Architektur. Anders Franziska Reinbothe. Bei ihr schlägt die Arbeitsweise – sie verformt Leinwände und Rahmen – mit der „vs. Ungers“-Aufgabenstellung wirklich Funken. Es ist, als hielten es ihre Arbeiten in Ungers Kästchenästhetik nicht länger aus, als strebten sie hinaus aus den Fenstern oder hinein in den Lichthof: Eine Leinwand hat sich zwischen halbgeöffneten Fensterflügeln mehrfach das Genick (sprich: den Rahmen) gebrochen, eine andere hängt leblos übers Geländer zum Innenhof. In der Sammlungspräsentation im dritten Stock übrigens hängen Reinbothes Rahmenbrüche keck neben einem Fontana, während lustigerweise diese und nicht das ungleich teurere Werk des italienischen Bildträger-Aggressors von einer Absperrung geschützt werden.

Doch zurück zur absurden Schönheit: Das Wechselspiel von Werk und Museumsarchitektur zündet auch bei Sol Caleros venezolanischer Wechselstube, deren exotisch-pastellbunte, billig-artifizielle Emotionsornamentik wunderbar mit Ungers rationalem White-Cubismus kontrastiert. 2022 voraussichtlich wird ein zweiter Ausstellungsteil den Raum wieder Sparringspartner und das Museum wieder Muse sein lassen – dann mit dem Akzent auf installativen und skulpturalen Positionen.

[Karin Schulze]