Corona Studios II: Sophie Innmann

Sophie Innmann, GoArtist, seit 2019
Thema > Corona Studios II
2. März 2021
Text: Sophie Innmann

Sophie Innmann, *1986 in Münchberg, lebt und arbeitet in Karlsruhe und überall auf der Welt
sophieinnmann.com

Ausstellungen:
— Wände / Walls, Kunstmuseum Stuttgart, bis 30. Mai 2021
— Transmergence #2, FRAC Alsace, Sélestat, bis 4. Juli 2021
— ANT AGR BER (mit Nadjana Mohr), Raum für drastische Maßnahmen, Berlin, 6. bis 26. März 2021

Sophie Innmann, GoArtist, seit 2019

GoArtist ist …
… der Titel meines künstlerischen Konzepts.
… eine neue Berufsbezeichnung.
… eine KünstlerInnen-community auf der ganzen Welt.
… eine neue Methode der Kunsterfahrung, universell für jedEn, überall auf der Welt.
… eine Verknüpfung von digitalen und analogen Strategien.
… eine (noch zu erstellende) App.
… ein Austausch von Wissen, Erfahrung und Zeit.
… eine Schnittmenge zwischen Theorie und Praxis.
… eine Kritik an hyper-kapitalistischen Strukturen.
… eine Recherche über gesellschaftspolitische, philosophische, pädagogische und kunsttheoretische Ideen.
… ein Kampf gegen Ausbeutung, Abhängigkeiten und Hierarchien.
… der Glaube an die Kraft des menschlichen Handelns, Gutes zu bewirken.
… eine Landschaft der Fürsorge, des Respekts und der Wertschätzung.
… ein Raum der Begegnung und Diskussion.
… eine virtuelle Heterotopie.

GoArtist ist das Resultat meiner Hinterfragung von Arbeitsprozessen im beispiellosen Zeitalter der Digitalisierung und deren Einflüsse auf die Gesellschaft. Die durch Covid-19 entstandene Situation hat die Dringlichkeit der Untersuchung der Beziehungen von öffentlichem und privatem sowie realem und virtuellem Raum verstärkt und die soziale Komponente des Projekts in neues Licht gerückt.

GoArtist setzt sich kritisch mit Lieferdienstpraktiken auseinander und versucht, eine alternative Kunsterlebnis-, Produktions- und Vermittlungsmöglichkeit zu etablieren, die für jedEn leicht zugänglich ist. Die Vorteile hypertopischer Strukturen werden aufgezeigt und genutzt, während gleichzeitig die systemimmanenten, ausbeuterisch-hierarchischen Strukturen konventioneller, ökonomischer Lieferservices abgelehnt werden.

Im praktischen Teil von GoArtist kommen KünstlerInnen zu den Menschen nach Hause, um dort vor Ort mit ihnen zusammen, aus dem Gespräch heraus, Kunst zu machen. Wie das aussehen kann, hängt von den beteiligten Personen, der Situation und dem Prozess ab, ist jedesmal anders und kann nicht vorhergesagt werden. Der Fokus liegt auf der Auseinandersetzung mit der Lebenswirklichkeit eines anderen Menschen, dem gemeinsamen Teilen von Zeit und nicht primär auf der Produktion eines physischen Kunstwerks.

Begleitet wird die Praxis von theoretischen Recherchen zu gesellschaftspolitischen, philosophischen, pädagogischen und ökonomischen Entwicklungen, ausgehend vom Fortschreiten noch nie dagewesener Digitalisierungsprozesse und deren Einfluss auf unser Zusammenleben. Begriffe, Beziehungen und Zusammenhänge menschlicher Fiktionen wie Arbeit, unproduktiver (im Sinne von ökonomischem Überschuss) Tätigkeit, Wert und Wertschätzung menschlicher Tätigkeit werden in Theorie und Praxis auf der Basis von Fairness, Kommunikation, Verständigung, Respekt und Empathie, im Kontext gemeinschaftlicher kreativer Tätigkeit, zur Diskussion gestellt und neu verhandelt.




Fünf Fragen an Sophie Innmann

Hast du in den vergangenen sechs Monaten staatliche Hilfen beantragt? Wenn nicht, warum nicht – wenn ja, wurden sie bewilligt? Gab es in dieser Zeit ausgefallene oder verschobene Ausstellungen, Veranstaltungen, Stipendien, Jobs, Reisen? Konntest du Arbeiten verkaufen?
Ich habe Projektförderungen aus dem Neustart Kultur Programm beantragt, wovon aber leider keine einzige geklappt hat. Die staatlichen Überbrückungshilfen sind für KünstlerInnen in ihrem Aufbau, mit einem Referenzmonat als Berechnungsgrundlage der Unterstützung, völlig ungeeignet, weshalb ich die erst gar nicht beantragt habe. Außerdem können diese Anträge nur über SteuerberaterInnen gestellt werden, da stoße ich an meine finanziellen Grenzen. Ich hoffe jetzt auf kleinere, jedoch allgemein aufgelegte Stipendien, doch leider kürzen viele Stiftungen ihre Fördermaßnahmen oder schreiben sehr spezifische Förderungen aus, wie z.B. Mentoring Programme, die für mich persönlich weniger interessant sind. Überhaupt ärgert mich diese krasse Ungerechtigkeit, dass für KünstlerInnen eine Förderung lediglich über jurierte Stipendien möglich ist. Wenn der Antrag nicht bewilligt wird, steht man wieder mit nichts da. Allein 2019 habe ich 39 Bewerbungen und Anträge geschrieben, von denen 3 geklappt haben.

Alle 8 Ausstellungen, an denen ich in 2020 beteiligt war, wurden entweder verschoben, unterbrochen, abgesagt oder früher beendet. So wartet derzeit Wände | Walls im Kunstmuseum Stuttgart auf die Wiedereröffnung und auch im Frac Alsace steht die Ausstellung Transmergence #02 fertig aufgebaut, bereit für den Tag X. Die Institutionen konnten teilweise Verlängerungen bis in den Frühsommer ermöglichen, was großartig ist. März und Mai sind zwei Monate die in meinem Kalender ziemlich voll sind mit Eröffnungen undFinissagen, mal sehen ob das dann tatsächlich so klappen wird…

Hat sich dein Arbeiten während des letzten Jahres verändert? Wie?
Meine Arbeit hat sich bereits seit 2018 langsam und seit 2019 stärker in eine politische Richtung entwickelt. Als ich merkte, wie sinnentleert, unreflektiert und ziellos Menschen sich im Frühjahr 2020 in digitale Welten stürzten und dadurch die katastrophalen Zustände, die durch auf Algorithmen basierte Arbeitsprozesse entstanden sind, nochmal richtig beschleunigt wurden, gab mir das neue Energie dem entgegen zu arbeiten. Ich war so außer mir, dass ich mir eine Zwangspause vom Internet verordnete, um nicht meinen aufkommenden Aggressionen zu erliegen. Denn Profiteure sind einmal mehr – und diesmal mehr als je zuvor- die big 5 aus dem Silicon Valley. Ich nutzte die Zeit und vertiefte mich in die Materie, tauschte mich aus, lasviel. An dieser Stelle empfehle ich die Lektüre von The Age of Surveillance Capitalism von Shoshana Zuboff und New Dark Age: Technology and the End of the Future von James Bridle. Mein Projekt GoArtist, an welchem ich seit November 2019 arbeite, untersucht diese Turboentwicklungen neo-liberalistischer Ausbeutungsstrategien und sucht nach alternativen Wegen, auf diese aufmerksam zu machen und sie letztendlich abzuschaffen.

Wie hast du Solidarität erfahren?
Die Antwort zu dieser Frage hängt mit einer großen Enttäuschung zusammen, welche ich im November 2020 erlebte – ich war gerade zu einem residency Aufenthalt in der Schweiz (der bereits vom Frühjahr 2020 verschoben war) als wir zu K1-Personen wurden und somit in Quarantäne mussten. Der Leitung des Hauses fiel nichts besseres ein, als uns ein Ultimatum von 24h zu stellen, das Haus zu verlassen, obwohl sie in der Pflicht gewesen wären uns abzusondern, was logistisch kein Problem war, da wir mitten in den Schweizer Bergen in einem Haus weit ab von jeglicher Zivilisation waren. Zu dem Packstress den das bedeutete, nach 4 Monaten Atelier und Wohnraum in wenigen Stunden zu räumen, musste ich mich ganz nebenbei noch um eine neue Bleibe kümmern, die eine potentiell infizierte Person aufnimmt.

Jetzt kommen wir zum solidarischen und erfreulichen Teil der Geschichte: die Veranstalter der Hochrheintriennale (welche statt im Juni 2020 nun im Mai 2021 stattfindet) waren total offen und ermöglichten mir einen Aufenthalt in einem für Recherchezwecke zur Verfügung stehenden leerstehenden Altenheim. Dort verbrachte ich dann meine Quarantäne und da ich mich nicht angesteckt hatte, schloss ich gleich noch eine Woche Recherchearbeit vor Ort an. Das war unkomplizierte Rettung aus einer ziemlich aussichtslosen Situation. Danke Alain und Franz!
Die andere residency, die uns so kaltherzig und vor allem völlig verantwortungslos auf die Straße gesetzt hatte, forderte dann mit einer Dreistigkeit, die ich bis dahin noch nicht erlebt hatte, dass wir doch bitte die letzten Tage noch bezahlen sollen (man leistete dort einen Beitrag zu Verpflegungskosten, da der nächste Supermarkt weit entfernt ist und die Lebensmittel geliefert werden). Sie versuchten also, aus den Menschen, die schon am schlimmsten von der Krise betroffen sind, noch das letzte Geld herauszuquetschen, wohlgemerkt für eine Leistung, die sie gar nicht in Anspruch genommen hatten. Ohne Worte. Ich habe dann meine Anwältin in Kenntnis gesetzt und seitdem nichts mehr von ihnen gehört.

Welchen Einfluss hat der langfristige Lockdown auf den Austausch mit anderen? Was macht das mitder Kunstszene?
Ich stehe mehr als sonst in intensivem Austausch mit FreundInnen, welche meistens gleichzeitig KollegInnen sind. Ich habe das Gefühl, dass gerade sehr viel in unseren Köpfen passiert und denke, dass jetzt die fruchtbare Verarbeitungsphase der Pandemie läuft, in der wir das Erlebte in neue Konzepte umsetzen. Außerdem habe ich nun zahlreiche Literaturempfehlungen, so dass ich selbst in einigen Monaten noch genugLesestoff finden werde. Gerade bin ich bei The Stack. On Software and Sovereignty von Benjamin H. Bratton angelangt – ebenfalls äußerst lesenswert!
Erfreulich finde ich auch die Entwicklung, dass sich gerade einiges in Sachen fairer Arbeitsbedingungen im Bereich Kunst- und Kulturarbeit tut: BÜNDNIS FÜR EINE GERECHTE KUNST- UND KULTURARBEIT, BADEN-WÜRTTEMBERG. Die Ausbeutung von Arbeitskraft muss endlich gestoppt werden!

Die Kultur- und Kunstszene war schnell und hart vom Lockdown betroffen und ist es nach wie vor, bislang unabsehbar. Ist das okay, oder wie hätte ein anderer Umgang mit Kunstschaffenden aussehen können? Wie soll es weiter gehen, was muss anders werden?
Meines Erachtens hätte ein Großteil der Kultureinrichtungen den Betrieb aufrecht erhalten können, nach demersten Lockdown wurden dort gute und wirksame Schutzkonzepte erarbeitet. Aber ich verstehe auch, dass man jede Bewegung im öffentlichen Raum, jeden Publikumsverkehr, was u.a. die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln etc. bedeutet, einschränken muss. Was ich nicht verstehe, ist weshalb kommerzielle Galerien geöffnet bleiben dürfen. Da offenbart sich ein Grundfehler des Kapitalismus und zeigt die fehlende Wertschätzung unserer Arbeit: Kunst in für alle zugänglichen, gemeinnützigen Settings gilt als Unterhaltung und nicht als Bildung, in Galerien ist sie aber (nur!) ein kommerzielles Produkt, was dem Staat Geld bringt und die Wirtschaft ankurbelt.



Corona Studios II ist ein Projekt der Redaktion artline.org,
ermöglicht dank großzügiger Unterstützung vom Kulturamt der Stadt Freiburg