Yehudit Sasportas: Archäologie des Unsichtbaren.
Kunsthalle Wilhelmshaven, Adalbertstr. 29, Wilhelmshaven.
Dienstag 14.00 bis 20.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 28. März 2021.
[—artline Nord] Wenn eine israelische Künstlerin in einer Stadt ausstellt, die mit dem Schicksal der deportierten jüdischen „Exodus“-Flüchtlinge verknüpft ist und die den reichsdeutschen Militarismus in ihrem Stammbuch trägt, dann ist Geschichte aufgerufen – auch wenn kein Exponat direkt auf historische Ereignisse Bezug nimmt. Yehudit Sasportas (*1969) weckt in der Kunsthalle Wilhelmshaven keine konkreten Erinnerungen, vielmehr inszeniert sie ambivalente Begegnungen mit dem Schlaf und den Schatten der Vergangenheit. Diese zeigen sich in ihrer Installation als ruheloses Rumoren, auch bekannt als kulturelles Gedächtnis, ein diffuses kollektives Erbe, das durch Generationen sickert und sich hinter den Filtern des Individuums als Bodensatz der Identität und des Habitus ablagert.
„Archäologie des Unsichtbaren“ überschreibt Sasportas ihre multimediale Schau. In ihr kommt den Grabungen die zentrale Rolle zu. Wichtigster Fund ist der Schürfende selbst, die Begegnung mit den Ereignis-, Erlebnis- und Erfahrungsrückständen in Kopf und Körper. Gemäß den Schauplätzen in der Tiefe und dem Auftreten des Unbewussten in der Nacht beherrschen Dunkel, Unschärfe und Schwarz-Weiß die Szenerie. Tafelbilder, Videos und Sound spielen zusammen. Ihre Dichte gewinnt die Aufführung durch die Integration des Ausstellungsraums als Bühne, Kulisse und Akteur zugleich. In ihrer überschaubaren Größe vermittelt die Kunsthalle den Eindruck einer flachen Schatulle, die ihre Inhalte dezent birgt und doch mit der Intensität eines Kammerspiels exponiert. Sie ist offen und gliedert das Geschehen mehrbödig und
vielerorts. Die Teile stehen für sich und tauschen sich doch permanent aus, eine offene dynamische Statik, Gedächtniskammern gleich.
Zur Eröffnung des Ausstellungsparcours informiert Text auf der markanten Betonwand im Zentrum des Gebäudes wie auf einer archaischen Stele über Konzept, Kontext und Konstruktion. Erzählt wird von virtuellen Erinnerungsräumen in der Negevwüste und dem Transport einer Wand dieser Gebäude nach Wilhelmshaven. Imaginiert sind Brückenschläge zwischen Orten und Zeiten, historische Gemeinsamkeiten und kulturelle Echos. An den Wänden der zentralen Halle vermitteln große Diptychen mit dichten Gewebestrukturen den Eindruck äußerer und innerer Landschaften in Resonanz. Zwischen Positiv und Negativ, Licht und Schatten, Präsenz und Abwesenheit, Körperlichkeit und Immaterialität interagieren die Geflechte mit geometrischen Bahnen und Balken. Diese Schicht liest sich wie die Versammlung von Konstruktionselementen – Projektionsflächen für historische und individuelle Narrative? Eine Videoarbeit auf der Empore greift die Korrespondenz von äußeren und inneren Wirklichkeiten auf. Die „abgetragene“ Wand kreuzt die Empore und trägt Bilder von Höhlensituationen und Nachtmomenten: das Atelier in dämmrigem Licht durch verhängte Fenster und Nachbilder von Gefäßen, Zeitspeicher und Grabungsfunde. Dazu ein minimalistischer Soundtrack, in dem kurze repetierende Tonfolgen über einem grollenden Puls um sich selbst kreisen, punktuell Richtungen aufnehmen, um in der Eigenbewegung zu versinken.
Eindrücklich ist das Finale dieser soghaften Traumbefragung. Begleitet von suggestiven Klängen mit erhöhter Lautstärke und beschleunigtem Puls zeigt ein Video einen wackelnden Tisch mit verdorrten Blumen und abgestorbenen Ästen. Ein zittriges Stillleben, das wie in einer Séance Kontakt mit dem Vergangenen aufzunehmen scheint. Projiziert sind die Bilder auf die Rückseite der dominanten Betonwand, die unzählige Bohrlöcher mit Dübeln versammelt, Spuren früherer Bildschichten, die wie ein Palimpsest die Geschichte und damit den Geist des Hauses repräsentieren. Sasportas verleiht den Gespenstern der Geschichte medial Gestalt, ohne ihnen ihr Geheimnis zu nehmen, physisch und poetisch.
[Rainer Beßling]