Corona Studios II: Thomas Geiger

Thomas Geiger, Peeing in Public, Kunstverein St. Pauli, Hamburg, September 2020. Die Performance fand auf dem Heiligengeistfeld statt
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1. März 2021

Thomas Geiger, *1983, lebt und arbeitet in Wien.
www.Thomas Geiger

Ausstellungen:
Bust Talk bei der Biennale für Freiburg, von Mai bis September 2021.
Thomas Geiger, The Ghost is present, Galerie Sperling, München,26. März bis 15. Mai 2021.

 

Thomas Geiger, Fallen, Die Putte, Neu-Ulm, Juli 2020. Die Performance fand im Donaubad in Neu-Ulm statt
Thomas Geiger, Bust Talk - Ludwig van Beethoven, Wiener Festwochen, September 2020, Photocredits: Franzi Kreis & Wiener Festwochen, 2020
Thomas Geiger, Denkmaschine, seit 2007, Photocredits: Thomas Geiger, 2020

Sechs Fragen an Thomas Geiger

Hast Du staatliche Hilfe beantragt, wenn nicht, warum, wenn ja, wurde sie bewilligt? 
Ich lebe in Wien und hier in Österreich haben alle Künstler*innen ziemlich formlos eine Unterstützung bekommen, bzw. bekommen wir diese nach wie vor. Das sind seit März 1000 Euro pro Monat.

Gab es ausgefallene oder verschobene Ausstellungen, Stipendien, Jobs, Reisen, gab es Verkäufe?
Ich hatte glücklicherweise keine Absage, sondern eine wahnsinnige Verdichtung zwischen Juli bis Oktober. Meine Arbeiten finden ja oftmals nicht innerhalb von Ausstellungsräumen statt, sondern im Freien – da ist man flexibler was die Umsetzung und die Einhaltung von Abstandsregeln betrifft. Da ich hauptsächlich mit Performances arbeite, finanziere ich mich weniger über Verkäufe, denn über Gagen. Aus dieser Perspektive war es natürlich immens wichtig, dass die Veranstaltungen stattfinden konnten. 

Hat sich Deine Arbeit während des letzten Jahres verändert?
Eigentlich nicht, allerdings ist eine ältere Arbeit von mir in den letzten Monaten wieder sehr wichtig geworden: Die Denkmaschine. Es handelt sich dabei um eine kleine Konstruktion, die aus drei drehbaren Scheiben besteht, auf denen jeweils 50 Wörter stehen. Ich drehe die Denkmaschine täglich und erhalte so eine Kombination aus drei Wörtern. Im Laufe eines jeden Tages versuche ich dann auf Spaziergängen die visuelle Bedeutung dieser drei Wörter zu finden. Jetzt, da die Bewegung eingeschränkt ist, hilft mir die Denkmaschine umso mehr diesen beschränkten Alltag durch sinnliche Erfahrungen immer wieder neu zu entdecken. 

Wie hast Du Solidarität erfahren?
Zahlreiche “Investoren” meiner I want to become a millionaire-Performance haben die Situation wahrgenommen, um mir Millionaire-Sheets abzukaufen. Dabei handelt es sich um gestempelte und signierte Editionen, die ich seit mehr als zehn Jahren für je einen Euro verkaufe. Mit den Einnahmen finanziere ich mal dieses und mal jenes Projekt – und in schlechten Zeiten einfach nur mein Leben. Die große Resonanz letztes Jahr hat mich sehr gefreut! 

Welchen Einfluss hat der langfristige Austausch mit anderen? Was macht das mit der Kunstszene?
Die Kunstszene ist ja eine Paradedisziplin der Netzwerkbildung und ihre sozialen Veranstaltungen, (Eröffnungen, Dinner, etc.) sind der Nährböden hierfür. Der Wegfall dieser Events wird auf jeden Fall Spuren hinterlassen – ich bin auf jeden Fall gespannt. Persönlich empfinde ich den derzeitigen Austausch mit wenigen Gesprächspartner*innen auch sehr angenehm – und produktiv, denn die Gespräche sind wesentlicher geworden. 

Die Kultur war schnell und hart betroffen und ist es bislang unabsehbar. Wie hätte ein anderer Umgang mit Kunstschaffenden aussehen können? 
Das Problem war die konsequente Schließung aller Kultureinrichtungen und Veranstaltungen. Es gibt natürlich Bereiche, die man ohne weiteres hätte offen halten können. Ich kann jedoch auch nachvollziehen, dass es politisch schwer zu vermitteln ist, warum diese Veranstaltung nun stattfinden darf, jene aber nicht. 

Wie soll es weiter gehen, was muss sich nach Corona ändern?
Die Pandemie hat viele Missstände gnadenlos offengelegt – dazu zählt auch die prekäre Situation, in der sich viele Kunstschaffende befinden. Aus diesem Grund muss die Bezahlung von Künstler*innen endlich stärker in den Fokus gerückt werden. Es muss common-sense werden, dass Künstler*innen sich nicht nur über Verkäufe finanzieren, sondern für jede Leistung (Ausstellungsbeteiligungen, Vorträge, etc.) ein Honorare bekommen müssen. Es gibt zwar bereits regionale Modelle, (z. B. das Berliner Modell) – klare Richtlinien, die für alle gelten wären jedoch wünschenswert. 


Corona Studios II ist ein Projekt der Redaktion artline.org,
ermöglicht dank großzügiger Unterstützung vom Kulturamt der Stadt Freiburg