Real Feelings: Die Unschärfebeziehung

Antoine Catala, I am here for you (Plastic Bag, yellow), 2018, Installation Detail, Foto: Deniz Guzel
Antoine Catala, I am here for you (Plastic Bag, yellow), 2018, Installation Detail, Foto: Deniz Guzel
Review > Basel > Haus der elektronischen Künste
19. Februar 2021
Text: Yvonne Ziegler

Real Feelings.
HeK – Haus der elektronischen Künste, Freilager-Platz 9, Münchenstein-Basel.
Mittwoch bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 15. November 2020.

www.hek.ch

Katalog:
Christoph Merian Verlag, Basel 2020, 192 S., 25 Euro / ca. 26 Franken.

Der Mensch ist ein zutiefst soziales Lebewesen. Nicht nur sein hochentwickeltes Gehirn, sondern auch seine Fähigkeit zu Empathie, Kooperation und Fürsorge haben ihn zur dominierenden Spezies unseres Planeten werden lassen. Das richtige Dechiffrieren der Emotionen des Gegenübers ist entwicklungsgeschichtlich überlebensnotwenig und der gegenseitige Austausch wesentlich für die Aufrechterhaltung von sozialen Beziehungen. Schon seit Längerem, unter Corona jedoch vermehrt, erfolgt Kommunikation eingeschränkt über digitale Kanäle wie Telefon, Videocall oder Text mit Emojis. Gleichzeitig versuchen Unternehmen über Biodaten- und Gesichtserkennungstechnologien die psychophysischen Befindlichkeiten von Menschen zu erfassen und zu manipulieren. Künstliche Intelligenz und Robotik nähern sich dem Menschlichen zunehmend an.

Die Ausstellung „Real Feelings“ reflektiert diese Entwicklungen. Emotionen sind komplexe Phänomene, die letztlich nur schwer eindeutig kategorisiert werden können. Dies wird in der Arbeit „Happiness is the only true emotion“ von Clément Lambelet deutlich, bei der mehrere Gesichter aus der Emotions-Datenbank der Stirling University durch eine KI gedeutet wurden. Die höchste Trefferquote lag beim Erkennen von Glück. Auch Lauren McCarthys & Kyle McDonalds mehrmalige Aufnahme der Besucherinnen und Besucher und deren bildliche Zuordnung zu den Basisemotionen Freude, Trauer, Ekel und Verachtung zeigt diese Uneindeutigkeit. Während Menschen solche Unschärfen durch Interaktionen nachkorrigieren können, bleiben Technologien bei ihrer rechnerisch erstellten Kategorisierung. Was real und was künstlich ist, können letztlich doch nur Menschen erkennen. So ist das Abbild eines realen Menschen von dem humanoider Roboter in der Portraitserie von Maija Tammi für eine KI nicht unterscheidbar.

Es ist leicht, Emotionen hervorzurufen, ja sogar einen Gegenstand als lebendiges Gegenüber zu erschaffen. Dies veranschaulicht Cécile B. Evans Video „How happy a Thing can be“, in dem animierte Dinge in realen Umgebungen eine Geschichte erleben. Musik, Bewegung, Verhalten und Sprache lassen sie zu menschlichen Stellvertretern werden, in die man sich hineinversetzen kann. Ob es sich dabei um eine Schauspielerin oder eine bewegliche Schere handelt, ist in der imaginativen Welt des Videos egal. Dieses Akzeptieren von etwas als wesenhaftes Gegenüber erlebt man auch in der fantastischen Videoarbeit von Justine Emard. Ein Tänzer agiert mit dem Roboter „Alter“, dessen Konstruktion offen sichtbar ist. „Alter“ versucht durch gutturale Laute zu sprechen und durch Bewegung von Armen und Fingern die Gesten und Berührungen des Tänzers nachzuahmen. Was wie menschliches Imitationslernen aussieht, basiert auf Rechnerleis­tung, deren Zahlenlauf das Video einspielt. In Liam Youngs Video einer Renderfirma lebt der Pygmalioneffekt auf. Ein Gameentwickler erschafft sich eine eigene VR-Welt, in der er mit seiner Geliebten lebt. Nicht nur Puppen und Gegenständen auch virtuellen Geschöpfen wird berührendes Leben eingehaucht. Troika zeigt in einer digitalen Animation, wie ein Axt schwingender „behaarter“ Arm eines Kuka-Roboters sich anschickt, einen Baum zu fällen. Technologie erschlägt Natur in einer abgestorbenen, ehemals idyllischen Landschaft. Doch trotz immerwährender automatisierter Handlung fällt der Baum nicht, seine Verletzung vergrößert sich kaum, am Ende blickt man aus seiner Krone auf die unten sich abmühende Gestalt hinab. Wird letztlich die Natur überleben?

Mehrere Arbeiten lassen den körperlichen Anteil von Emotion gewahr werden. Da ist der knautschige Sessel von Stine Deja & Maria Munk, in dem wir uns massieren lassen können, während wir auf dem Monitor eine fröhlich singende animierte Figur verfolgen, die emotional rein gar nichts versteht. Und Coralie Vogelaar macht uns schließlich auf die 44 Gesichtsmuskeln aufmerksam, mit Hilfe derer wir unseren Gefühlen Ausdruck verleihen.

[Yvonne Ziegler]