Robert Storr: Philip Guston. A Life Spent Painting.
Laurance King, London 2020, 360 S., 59 Euro / ca. 108 Franken.
www.laurencekingverlag.de
Irgendwann Ende der 1940er Jahre verabschiedeten sich die Figuren aus dem Werk des US-amerikanischen Malers Philip Guston (1908-1980) und ein Formenvokabular eroberte die Leinwände, das seinen Freund, den Komponisten Morton Feldman, zu dem herrlich schwebenden, mehr als vierstündigen Klanggewebe „For Philip Guston“ inspirierte und die Kritik jubeln ließ, der nichts abgeschmackter und gestriger erschien als Figürliches und nichts zeitgenössischer als dieses gegenstandslose Flirren der Farben – Rosa auf Grau –, das jetzt so präzise in formlosen Wolken aus dicht an dicht gesetzten Pinselstrichen pulsierte. Zehn Jahre später, als die Kunstwelt ihn längst als einen der Stars des abstrakten Expressionismus feierte, kam Guston langsam aus dem Tritt. Nicht versehentlich, sondern mit Bedacht. „Ich hatte diese ganze Reinheit der abstrakten Malerei satt“, sagte er. Aus den wattigen Wolken lösten sich klarer konturierte Farbflächen heraus, der Strich wurde grober, skizzierte finstere Dickichte, durch die halb aufgelöst schwarze Quadrate irrten. Und dann war plötzlich nur noch der Rauch der Zigaretten in Auflösung, die in den Gesichtern der Menschen steckten, die er malte, oft liegend und auf seltsam komische Weise apathisch, die Bettdecke bis ans Kinn hochgezogen. Zuvor hatte Guston den Pinsel zwei Jahre zur Seite gelegt und in Zeichnungen ein comichaftes Alphabet der Gegenstände und Selbstbilder entwickelt, aus dem er künftig seine Bilder zusammensetzte. Schuhe, Kaffeetassen, Glühbirnen, Uhren, Augen, Klötze, Aschenbecher, Hände – und Ku-Klux-Klan-Mützen. Als Kind hatte Guston, dessen Eltern vor antisemitischen Pogromen aus Odessa nach Amerika geflohen waren, den Hass der Rassisten erlebt.
Im Juni 2020 waren diese Kapuzenmänner nun Anlass für die folgenschwere Absage der Eröffnung einer Retrospektive in der National Gallery in Washington, die Gustons Werk würdigen und anschließend durch vier renommierte Museen, unter die Londoner Tate Modern, touren sollte. Angesichts des gewaltsamen Todes von George Floyd, so das Kuratoren-Team, könne man dem Publikum Gustons KKK-Männer derzeit nicht zumuten und überarbeite die Ausstellung deshalb, um sie in einer bereinigten Version frühestens ab 2022 zu zeigen. Auch wolle man Gustons Werk so vor dem Verdacht schützen, als „womöglich rassistisch beleidigend“ wahrgenommen zu werden.
Unter Experten sorgte diese Einschätzung und die daraus folgende Entscheidung internationale für große Empörung – auch bei Trenton Doyle Hancock, der selbst am Katalog zur Schau mitgearbeitet hatte. Das Gegenteil sei der Fall: Guston habe dem weißen Amerika den Spiegel vorgehalten, sagte der afroamerikanische Künstler im Interview mit „The Art Newspaper“: „Er befand, der Ku-Klux-Klan sei so amerikanisch wie Apple Pie. Er ist in den 1960er Jahren nicht vor diesem sehr amerikanischen Diskurs geflohen – und das sollten auch wir jetzt nicht tun.“
Dem pflichtet auch der Kunsthistoriker und Kurator Robert Storr bei, der angesichts der Verschiebung der Retrospektive die „Feigheit der Museen“ kritisiert. In seiner gerade erschienenen, opulent bebilderten Biografie erzählt Storr auch von Gustons Blick auf den Klan. Bereits in den frühen 1930er Jahren tauchten Klansmänner in dessen Werk auf, unter anderem auf einem Wandbild über die Scottsboro Boys, einer Gruppe von neun Schwarzen Jugendlichen, die fälschlicherweise wegen der Vergewaltigung zweier weißer Frauen verurteilt worden waren. Das Mural, in dem sich Guston mit dem strukturellen Rassismus in den USA auseindersetzte, wurde wenige Tage nach seiner Einweihung im linken John Reed Club von dem Ku-Klux-Klan nahe stehenden Polizisten des Los Angeles Police Department zerstört. „Gustons Wandbild handelte davon, dass schwarze Leben zählen“, schreibt Storr in seiner Biografie. Es ist schwer nachvollziehbar, dass eine Ausstellung dieses Künstlers ausgerechnet jetzt als unzumutbar gilt.
[Dietrich Roeschmann]