Das Magazin als Bühne

7. Januar 2021
Text: Annette Hoffmann

Tanzcompagnien können gerade nicht auftreten, das Kollektiv Merle | Mischke | Klee hat experimentiert

Fallende Körper haben seit der Antike ihren festen Platz in der Menschheitsgeschichte, oft stürzen sie über ihre eigene Hybris. Und ein bisschen muss man auch bei „going through something“ an all die fallenden Ikarusse und Phaetons denken, denn die Pandemie hat viel mit unserer Grenzenlosigkeit zu tun. Das Performancetrio Coralie Merle, Jasiek Mischke und Mark Christoph Klee hat die Arbeit mit den Grafikerinnen von Kaschém Büro Insa Kühlcke-Schmoldt und Nina Massow sowie dem Medienkünstler Patrick Will in Kooperation mit dem artline Kunstmagazin realisiert. Annette Hoffmann sprach mit Merle | Mischke | Klee (MMK) und Káschem Büro (KB) über das Projekt, dessen Augmented Reality Ebene durch die Handykamera sichtbar wird.

artline: Wieviel Corona steckt in „going through something“?

MMK: Ohne Corona gäbe es diese Arbeit nicht. Die Idee, eine Art Szene in ein Magazin zu integrieren, ist entstanden, weil wir nach alternativen Präsentationsformen suchen mussten. Wir wollten den Titel etwas offener lassen, aber das, durch das wir alle gerade gehen, ist Corona.

Was für einen Raum bespielen Sie mit „going through something“, ist es die Schrift, durch die die Körper fallen, der Screen, die haptische Magazinseite?

KB: Wir haben das Magazin als einen Raum gesehen. Unsere zentrale Idee war es, den Raum des Magazins zu öffnen und die Performance dort stattfinden zu lassen. Die Interaktion mit den Leserinnen und Lesern des Magazins öffnet einen konkreten dreidimensionalen Raum. Im Raum steckt wiederum ein weiterer Raum.

MMK: Wir arbeiten gerade an einem XL-Druck der Magazinseite, der mit den gleichen Funktionen ausgestattet sein soll. Er soll im halb-öffentlichen Raum auf den Boden geklebt werden. Die drei fallenden Figuren sind auf der Magazinseite ja recht klein, je nach Maßstab verändert sich das. Wenn man um den XL-Druck herumgeht, sich streckt, in die Knie geht, um besser sehen zu können, wird das für eine weitere Interaktion mit den Betrachterinnen und Betrachtern sorgen.

Was hat es mit dem Text auf sich? Durch die fließende Bewegung wirkt er wie eine Visualisierung des Bewusstseinsstroms der Moderne.

MMK: Der Text ist während des Probenprozesses entstanden. Wir haben in Zoom-Konferenzen gebrainstormt, uns gegenseitig Bilder gezeigt und Sätze vorgelegt. Irgendwann hatten wir eine Sammlung von Ausdrücken, die aus dem Zusammenhang gefallen waren. Diese haben wir zu einem Poem zusammengefügt, das eine gewisse Struktur hat. Im Text stecken viele Ideen aus dem Probenprozess. Während der Recherche haben wir uns Bühnenanweisungen gegeben wie „jump through with intention“. Solche Bewegungsqualitäten haben wir geprobt, sie sind nun in die Augmented Reality eingegangen.

Wie entstanden die Aufnahmen?

MMK: Das Besondere ist, dass unsere realen Körper gescannt wurden. Es dauert ein bis zwei Minuten bis ein Körper von allen Seiten so fotografiert ist, dass es einen vollständigen Scan ergibt. Die Körper dürfen sich dabei nicht rühren. Wir wollten dennoch Bewegung suggerieren, das einfachste war da der Fall. Wir haben ihn nachgestellt, in dem wir uns von der Decke hängten.

KB: Die Scan-Applikationen, die wir genutzt haben, geben den Figuren aufgrund fehlerhafter Übersetzungen eine verfremdete Ästhetik, welche wir letztendlich sehr passend finden.

Über Umwege berühren Sie dadurch die Pose des klassischen Balletts, die man im zeitgenössischen Tanz eher selten findet.

MMK: Ja, darüber mussten wir auch ein bisschen lachen. Während des Probenprozesses haben wir auch andere Konstellationen gescannt, die so mit Bedeutung aufgeladen waren, wie man es vom Ballett kennt. Um davon wegzukommen, haben wir nach Körpern gesucht, die unter Spannung stehen, etwa durch Anstrengung oder eine leichte Drehung. Und das ist dann etwas ganz anderes als eine klassische Pose.

 

www.merlemischkeklee.com und www.kaschembuero.de