Tomas Baumgartner: Ein sehr harter Winter ist, wenn ein Wolf den anderen frisst.
Kunst(Zeug)Haus, Schönbodenstr. 1, Rapperswil-Jona.
Mittwoch 14.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 14.00 bis 17.00 Uhr, Freitag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 7. Februar 2021.
Irgendein Witzbold hat in türkisfarbenen Versalien China auf Tomas Baumgartners Skulptur „Taucher“ gesprayt. Der dazugehörige Pfeil weist zur Wiese. Doch von dort aus soll es also zum Kern der Erde gehen und dann immer weiter. Und jetzt hätte man wirklich gern einen Globus zur Hand. Liegt auf der gegenüberliegenden Seite von Ernen im Wallis wirklich China? Eigentlich eine ganz schöne Vorstellung. „Taucher“ ist im letzten Jahr eigens für das Kunstprojekt „Zur frohen Aussicht“ entstanden. Es ist ein Betonkubus, der ein bisschen wie ein Mülleimer aussieht, nur dass man in ihn nichts werfen könnte, und er oben mit einer Betonplatte abgedeckt ist. Ziemlich hermetisch das Ganze. Der Ort ist mit Bedacht gewählt. Darunter befindet sich eine Suone. Für einige Meter verläuft die historische Wasserleite unterirdisch, man hört das Wasser, aber sieht es nicht.
Dank Josiane Imhasly finden im hochgelegenen Ernen seit 2015 alle zwei Jahre im Sommer Ausstellungen statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stammen in der Regel aus ländlichen Regionen der Schweiz. Das ist wichtig für das Projekt, niemand soll mit dem Dorf fremdeln. Auch Tomas Baumgartner (*1990) kennt das Landleben, er kommt aus Engi im Kanton Glarus und nach seinem Studium in Zürich und Genf, wo er 2019 den Master machte, lebt er dort auch wieder. Er wird also auch die Enge kennen, die man auf dem Land empfinden kann – so dass China durchaus zu einer Fluchtfantasie werden kann.
In seiner aktuellen Ausstellung im Kunstzeughaus Rapperswil geht es auch um Enge. Für die Reihe „Seitenwagen“ hat er die Installation „Ein sehr harter Winter ist, wenn ein Wolf den anderen frisst“ geschaffen. Die Idee dazu kam ihm in Berlin, wo er die Monate des Lockdowns in einem Gastatelier des Kantons Glarus verbrachte. Alles, was ansonsten attraktiv an Metropolen ist – die vielen Menschen, das umtriebige Kulturleben ‒ verkehrte sich in sein Gegenteil. Das Atelier wurde zum Rückzugsort. Dabei dachte man im Frühjahr noch, um die zweite Welle der Pandemie herumzukommen. Baumgartner greift mit seiner Rauminstallation unmittelbar in die Wahrnehmung der Betrachtenden ein. Nachdem sie über einen schmalen Gang zum eigentlichen Ausstellungsraum gelangt sind, senkt sich auf die Stimmung eine dunkle Plastikplane, die gut zehn Quadratmeter groß ist und fast den gesamten Raum einnimmt. Sie hängt unterhalb der Decke und ist nicht ganz straff gespannt, so dass sie sich leicht wölbt. Der Titel ist Teil der Arbeit und man sollte den Wolf nicht allzu wörtlich nehmen. „Der Übergang unserer räumlichen Wahrnehmung hin zu imaginären Räumen interessiert mich. Ich habe mich in anderen Arbeiten häufig damit beschäftigt“, sagt der Künstler in einem Interview. Es geht Tomas Baumgartner also weniger um das konkrete Tier, eher um das Draußen, um das Unkontrollierbare, das wir derzeit wieder stärker als Teil unseres Lebens erfahren. Tomas Baumgartner holt es in den Innentraum, den wir eigentlich als Schutz und Hülle erfahren. Hinzu kommt, seit Anfang Herbst kühlt die Ausstellung merklich aus, Baumgartner hat die Heizung nicht in Betrieb genommen, so dass es wirklich zunehmend ungemütlich im Raum wird.
Dass diese Zustände oft ihren Ausgang im Architektonischen nehmen, zeichnet viele der Arbeiten von Tomas Baumgartner aus. In einer Selbstbeschreibung bekennt er, dass er sich dort am wohlsten fühle, wo sich die Medien Installation, Skulptur und Fotografie überlagern. So wie vor drei Jahren bei seiner ersten institutionellen Einzelausstellung im Winterthurer Ausstellungsraum Coalmine, in der er nicht zuletzt mittels der Fotografie, aber auch durch Gipsabgüssen, die Frage von Bild und Abbild thematisierte.