Romy Rüegger: Der mediative Sound der Ausbeutung

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17. November 2020
Text: Martha Martin-Humpert

Romy Rüegger: The Moving Body, The Listening Body – Moving through wires of wind.
Badischer Kunstverein, Waldstr. 3, Karlsruhe.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 29. November 2020.

www.badischer-kunstverein.de

Die Einzelausstellung der in Zürich und Berlin lebenden Künstlerin Romy Rüegger (1983) im Badischen Kunstverein führt die Besucherinnen direkt mit den ersten Schritten auf eine Plattform mitten hinein in ihre performativ-choreografischen Raumaneignungen. Sie zeigt den schemenhaften Grundriss der Ein-Zimmer-Wohnungen für alleinstehende, arbeitende Frauen des 1927 errichteten Lettenhofes in Zürich. Einerseits überrascht es, dass diese Frauen in dem damals oft noch starren patriarchalen System überhaupt mitgedacht wurden, andererseits haftet dieser Wohnkonstellation eine Art kühler, steriler Makel an. Klein, beengt, mit Einzelbett, als unterstellten die Architekten den Bewohnerinnen frigide Freudlosigkeit und jegliches Desinteresse an Vergnügungen. So wird Virginia Woolfs Beschwörung „A room of one’s own“ für die Verwirklichung weiblicher Schöpfung hier zu einer industriell verwertbaren Unterbringung, allein auf Zweck bedacht. Darauf verweisen auch die ausgestellten Archivdokumente. Sie offenbaren ein bürgerlich geprägtes Doppelbild der Frau, die zwar für sich selbst sorgen kann, sich ihre Freizeit dann allerdings im hauseigenen alkoholfreien Restaurant oder im Tee-Salon vertreibt. Freiheit in Enge.

Ein sanftes Gluckern empfängt einen beim Eintreten in den hellen Hauptsaal, durch den sich großflächig eine türkischrote Stoffbahn auf Holzgerüs­ten legt. Bei näherer Betrachtung entzaubert sich der Klang als das Aufeinanderschlagen der Holzstäbe, die traditionell zum Färben von Stoffen genutzt werden. Die Soundinstallation hat in ihrer dumpfen Gleichförmigkeit etwas meditativ Beruhigendes und steht so im Gegensatz zu ihrem Ursprung in den lauten Produktionshallen der Stoffherstellung. „A Fabric in Turkey Red“ untersucht die Verwebungen und Querverbindungen, die historisch in die Haptik der Produktion eingesponnen sind. Der Kanton Glarus als ehemals florierender Ort der Textilproduktion bildet den Ausgangspunkt von Rüeggers Recherche. Bis heute hütet er seine archivarischen Schätze akribisch: Nur einmal durfte die Künstlerin das dortige Wirtschaftsarchiv besuchen, fragmentarisch, verwackelte Aufnahmen zeugen von einer selbsterhaltenden Geheimniskrämerei, durch die man sich einer Auseinandersetzung mit der eigenen – vielleicht nicht ganz so glorreichen – Geschichte zu entziehen versucht. Denn das Spinnen, Weben, Färben ist historisch eng verstrickt mit sozialen Kämpfen und industriellen, teils unmenschlichen Verwertungsprozessen menschlicher Arbeit. Diese Leerstellen macht Rüegger durch helle Ätzungen auf dem ausliegenden Stoff bildhaft und verweist so etwa durch das Muster von Lochkarten auf technologischen Fortschritt und mit einer Glocke auf die strenge Arbeitstaktung. Gegen die die Arbeiter in Glarus jedoch rebellierten: „Die Figuren greifen in die Handlung ein, der Plot verselbstständigt sich“ steht auf einer Glasplatte und kann buchstäblich für die Umwälzungen des 1837 stattgefunden Streiks gelesen werden, bei dem sich die Arbeiterschaft – darunter viele Frauen und Kinder – gegen die Bestimmungen auflehnten und Rechte erkämpften.

Die Unterdrückung von Randfiguren der Gesellschaft ist auch in der Performance „Approaching Ultra Light“ zentral. Während ihren Recherchen stieß Rüegger im Aargauer Staatsarchiv auf die ersten „Mug Shots“, also Fahndungsfotos, die der Litho- und Fotograf Carl Durheim in den Jahren 1852/53 von sogenanntem „fahrendem Volk“ anfertigte. Die Projektionen zeigen Korbflechter, Vogelfänger, Schauspieler, die als mobile Subjekte den Verdacht der sesshaften Bevölkerung erweckten und damit als Symbol für ausgrenzende Strukturen auch heute noch wirksam sind. Das Historische überlagert so die Gegenwart und kann Anreiz und Anknüpfungspunkt für eine poetisch-assoziative Auseinandersetzung sein.