Raphael Hefti: Das Echo des Urknalls

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16. November 2020
Text: Dietrich Roeschmann

Raphael Hefti: Salutary Failures.

Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, Basel.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.30 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 19. Dezember 2020.

Katalog:
Lenz Press, Milano 2020, 352 S., 39 Euro.

www.kunsthallebasel.ch
www.raphaelhefti.com

Scheitern gilt gerne als das Gegenteil des Gelingens. Es beschreibt das Resultat einer vergeblichen Anstrengung, sei es aufgrund fehlender Expertise, sei es durch einen blöden Zufall, der einer geplanten Entwicklung eine unvorhersehbare Richtung gibt. Für Raphael Hefti (*1978) ist Scheitern seit Langem eine zentrale Strategie seines künstlerischen Handelns und Neugier seine Motivation. Was ihn interessiert ist, was passiert, wenn Dinge bewusst falsch gemacht werden.

Bekannt wurde der in Zürich und London lebende Künstler mit atemberaubenden Glasmalereien in XL-Format, deren giftiges Schimmern Ergebnis einer gezielten Fehlbehandlung durch mehrfache Antireflex-Beschichtungen war. Im Museum wirkten diese wie gerahmte Ausschnitte einer Ölpest und machten so auf hochattraktive Weise sichtbar, wie eine Technik, die eigentlich die Spiegelung von Glas und damit die Wahrnehmbarkeit des Materials selbst zum Verschwinden bringen sollte, bei Wiederholung des Prozesses den gegenteiligen Effekt erzielte. Für andere Arbeiten verwendet Hefti Industriematerialien oder Maschinen, die er eigenhändig manipuliert und oft bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit strapaziert, um so ein Scheitern zu erzwingen – was wiederum die Frage aufwirft, ob dieses gewollte Scheitern tatsächlich noch als Scheitern bezeichnet werden kann oder nicht besser als Gelingen im Sinne einer erfolgreichen Sabotage oder einer produktiven Zweckentfremdung, die Schönheit hervorbringt. In der Kunsthalle Basel, wo Raphael Hefti zuletzt 2018 im Rahmen der Ausstellung „Performance Process“ mit einem Trupp Straßenmarkierer ein gigantisches Bodengemälde in grell reflektierenden Farben auf die Dielen brachte, zeigt der Profi des unsachgemäßen Handelns derzeit seine bislang größte Soloschau. Der Titel ist Programm: „Salutary Failures“, lehrreiche Fehler.

Schon bei Betreten des ersten Saals wird deutlich, wie wichtig Hefti die große Geste ist, die sofort auf schieres Erstaunen zielt, um dann den Weg zu ebnen für ein Nachdenken über Materialität und seine räumlichen, kulturellen oder sozialen Aspekte. Auf rohen Holzpaletten stehen hier gut drei Dutzend intensiv riechende, schwarz angekohlte Monolithen aus gepresstem Formsand zu einem labyrinthischen Parcours sortiert. Einige der trapezförmigen Blöcke sind gut zweieinhalb Meter hoch und erinnern an militärische Barrieren oder Industriearchitekturen der Spätmoderne, andere liegen auf dem Boden und bilden Rinnen oder Wannen, von professionellen Metallgießern gefüllt mit erstarrtem Aluminium, die Hefti eigens dafür anheuerte, um Kunst als Produkt von Arbeit sichtbar zu machen. Mit rund 27 Tonnen Gesamtgewicht versetzt die Installation den Raum bei jedem Schritt in leise, aber mächtige Schwingungen und lässt einen so gleichermaßen zum Subjekt und zum Objekt der enormen Kräfte werden, die hier wirken. Es ist als wankten wir durch die einsturzgefährdeten Ruinen der Minimal Art, um im nächsten Raum einzutauchen in die psychedelische Farbwelt eines 600 Kilo schweren Reliefs aus geschmolzenem und wieder erkaltetem Bismut. Die fünf schrundigen, länglichen Blöcke aus grauem Chromnickelstahl, die nebenan unter einer imposanten Klimaanlage ruhen, entfalten ihre spektakuläre Wirkung hingegen erst nach Lektüre der Werklegende, und das nicht ohne Humor. Angeblich hat der Künstler die Objekte acht Jahre lang derart extremen Klimaschwankungen ausgesetzt, dass ihr Material um 5000 Jahre alterte. Passend dazu zitiert der ausführliche Titel der Arbeit ein Gespräch der Paläontologen aus Steven Spielbergs Blockbuster „Jurassic Park“ über das Ende der Menschheit.

Im letzten Saal spannt Hefti den Bogen schließlich noch weiter zurück, zum Beginn aller Tage. In mehreren vier Meter langen Glasröhren, die in Form von riesigen Reagenzgläsern von der Decke hängen, glimmen im abgedunkelten Raum längliche Edelgaswolken in den unterschiedlichsten Farben – darunter neben Argon, Neon und Xenium auch das Gas Helium, das zu den ersten Elementen überhaupt gehörte, die sich nach dem Urknall bildeten. Keine Frage: Raphael Hefti ist mit großer Leidenschaft und Experimentierfreude auf der Suche nach dem Erhabenen. Ihn in der Kunsthalle Basel dabei zu begleiten, ist ein echtes Vergnügen.