Simone Holliger: Struggling Structures.
Kunst Raum Riehen, Baselstr. 71, Riehen.
Mittwoch bis Freitag 13.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 8. November 2020
Es gehört eine gewisse Risikobereitschaft dazu, eine Bildhauerinnenkarriere auf Papier zu bauen. Das Material scheint zu labil, um großen Belastungen standzuhalten, zu anfällig für Feuchtigkeit und Hitze, Luftzug und Berührung. Für Simone Holliger (1986) sind das keine Gründe, es nicht trotzdem zu versuchen. Seit Längerem arbeitet sie nahezu ausschließlich mit Papier von Endlosrollen, das sie entlang freihändig gesetzter Linien schneidet, einfärbt und stärkt, aus der zweiten Dimension in die dritte faltet und schließlich mit Heißkleber zu atemberaubenden Skulpturenensembles montiert. Eines ist derzeit im Kunst Raum Riehen zu sehen, im Rahmen einer Reihe von vier parallel gezeigten Einzelausstellungen mit Arbeiten von Alfredo Aceto (1991), Raphael Linsi (1982) und Marie Matusz (1994), die in den verwinkelten Räumen auf wunderbar selbstverständliche Weise ineinandergreifen, um sich gegenseitig eine kleine Bühne zu bieten.
Holligers Arbeit „Struggling Structures“ im Erdgeschosssaal präsentiert sich als raumgreifende Installation mit der Anmutung einer Höhle. Die papiernen Wände wölben sich unregelmäßig in den Raum, bilden Stufen und Podeste und den Hintergrund für drei amorphe, ungelenk auf der Stelle balancierende Objekte in Schwarz, Weiß und Signalorange. Mit ihren ausladenen Gesten scheinen sie einen Gruß in die Kunstgeschichte zu schicken – „Hey, Monsieur Dubuffet, alles klar?“ – und sind dennoch ganz in der Gegenwart verwurzelt, und zwar als Protagonisten einer Ausstellungsansicht aus einem kürzlich erschienenen Katalog der deutschen Künstlerin Amelie von Wulfffen, die sie hier nachstellen. Dass dieser Katalog inspiriert ist vom Comic und seinen Möglichkeiten, die absurdesten Träume in plausible Bilder zu fassen, schärft wiederum den Blick auf Holligers Arbeit. Tatsächlich wirken ihre strauchelnden Strukturen wie gezeichnete Figuren, die auf der Flucht von der Fläche in den Raum ertappt wurden und sich zur Strafe nun nicht mehr vom Fleck rühren dürfen – zumindest nicht bis die Ausstellung endet und sie wieder in ihre Einzelteile zerlegt werden, die Holliger dann an anderem Ort mit recycleten Materialien weiterer Arbeiten zu neuen Bühnenbildern dieses schönen Plots über die Ambivalenz der Skulptur zwischen raumgreifendem Selbstbewusstsein und prekärer Existenz arrangiert. Unterfüttert wird diese bizarre Szenerie von einem Vogelstimmen- und Piano-Loop von Marie Matusz, der sanft aus dem Dachgeschoss durch das Haus rieselt und den White Cube in eine Art akustisches Wald-Diorama verwandelt, flankiert von minimalistischen Flora- und Faunaplatzhaltern aus Kabeln, Plexiglas und Graphit. Dazwischen funkeln verrätselte Fotografien von Alfredo Aceto, die den virtuellen Dialog mit dem Genfer Künstler Fabian Marti suchen, sowie eine Reihe sonnenartiger „Flat tire“-Gemälde von Raphael Linsi in allen Farbspektren von natürlicher Dämmerung bis zum Gelb des Smartphone-Night-Shift-Modus.