Isa Genzken: Vorsprung durch Technik

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15. Oktober 2020
Text: Dietrich Roeschmann

Isa Genzken: Werke 1973 bis 1983.
Kunstmuseum Basel Gegenwart, St. Alban-Rheinweg 60, und Kunstmuseum Basel Neubau, St. Alban-Graben 16, Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 24. Januar 2021.

www.kunstmuseumbasel.ch

Katalog:
Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2020, 240 S., 39.90 Euro / ca. 47.90 Franken.

Im Erdgeschosssaal im Neubau des Kunstmuseums Basel flackert auf einem Monitor in der Ecke stumm ein unscharfes Schwarz-weiß-Video. Es zeigt zwei Frauen beim Kleidertausch – die eine groß und schlank (die Künstlerin selbst), die andere klein und füllig. Wechselseitig ziehen sie ein und dieselbe Kombination aus Unterwäsche, Rock und Bluse an und wieder aus. Ist die eine Frau bekleidet, ist die andere nackt – und umgekehrt. Es ist eine zarte und komische Performance von Intimität und Verletzlichkeit, eine Choreografie des gegenseitigen Auslieferns, Behütens und Vertrauens im Endlos-Loop. Als Isa Genzken diese Videoarbeit 1974 drehte war sie gerade mal 25 Jahre alt und studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie. Ein paar Straßen weiter, in der Konrad Fischer Galerie, die damals zu den wichtigsten europäischen Galerien gehörte, hatte sie kurz zuvor eine ganze Woche lang Bruce Naumans „Instructions for a Mental Exercise“ befolgt, eine Art künstlerische Meditation über die Ausdehnung des Körpers und seiner Wahrnehmung im Raum. Präzise dokumentierte sie in einem Tagebuch ihre Erfahrungen der Performance als Material des US-Künstlers und der kritischen Aneignung und Fortentwicklung seiner Strategien.

Die Ausstellung in Basel, die in Zusammenarbeit mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen entstand, verortet Genzkens Frühwerk von 1973 bis 1983 in diesem Spannungsfeld: Zwischen den Einflüssen minimalistischer und konzeptueller Kunst und dem Bestreben, die virile Coolness dieser in den 1960er Jahren so erfolgreichen Ansätze gezielt durch die Auseinandersetzung mit Identität, subjektiver Erfahrung und der Reflexion einer außerkünstlerischen Wirklichkeit zu unterlaufen. Schon früh nutzte Genzken dafür die große Bühne. Wiederum bei Konrad Fischer in Düsseldorf stellte sie 1976 – noch während ihres Studiums – eine Reihe von ultraschlanken, eigenhändig lackierten Holzobjekten aus, die sie ohne Sockel auf dem Boden platzierte. Diese „Ellipsoide“, denen kurze Zeit später die Werkgruppe der „Hyperboloide“ folgte, machten Genzken international bekannt. Sie gelten längst als Ikonen der Post Minimal Art. In zwei Häusern des Kunstmuseums Basel präsentiert Kurator Søren Grammel nun unterschiedliche Versionen dieser ausgesprochen eleganten Hybride zwischen Skulptur und Malerei, die an Surfboards oder Speere erinnern, an überdimensionale Samenschoten oder seltsame Fetische aus fernen Kulturen. Beide Formen sind bestimmt durch minimal gekrümmte Linien – bei den „Ellipsoiden“ beschreiben sie an den Enden jeweils einen scharfen Wendepunkt, bei den „Hyperboloiden“ nähern sie sich mittig an und öffnen sich zu den Enden hin. Ein- oder mehrfarbig gefasst, gekerbt oder ausgehöhlt, der Länge nach zerschnitten und sandwich-artig neu zusammengesetzt, strukturieren sie den Raum mit ihren Ausmaßen von bis zu elf Metern Länge auf atemberaubend leichte Weise. Entstanden sind sie nach Genzkens Berechnungen an den monumentalen Computern der Informatik der Uni Köln. Zahllose Ausdrucke auf Endlospapier, großenteils handkoloriert, flankieren die Basler Schau und dokumentieren eindrücklich das Interesse der Künstlerin an den aktuellsten Bildtechnologien ihrer Zeit.

Davon erzählt auch die Serie der „HiFi-Collagen“ aus den späten Siebzigern, für die sie doppelseitige Anzeigen von Verstärkern und Plattenspielern kopierte und vergrößerte. Was sie hier interessierte, war die Aufladung von Kreis und Rechteck als Urformen der konstruktivistischen Moderne mit den Intensitäten der Popkultur – durchaus in einem programmatischen Sinn. „Das ist das Neueste, das Modernste, was es zurzeit gibt. Also muss eine Skulptur mindestens genauso modern sein und das aushalten“, sagte Isa Genzken 2003 rückblickend in einem Interview mit Wolfgang Tillmans. Es ist dieser Anspruch absoluter Gegenwärtigkeit, der Genzkens vielfältiges, mittlerweile vier Jahrzehnte umfassendes Werk bis heute so attraktiv und anschlussfähig macht – auch und gerade für viele junge Kunstschaffende. Die Basler Ausstellung ermöglicht so umfangreich wie noch nie einen spektakulären Blick auf den souveränen Start dieser außergewöhnlichen Karriere.