Sammlung Ruth und Peter Herzog: Das Erbe der Wunderkammer

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5. Oktober 2020
Text: Annette Hoffmann

The Incredible World of Photography. Sammlung Ruth und Peter Herzog.
Kunstmuseum Basel Neubau, St. Alban-Graben 16, Basel.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 4. Oktober 2020.

www.kunstmuseumbasel.ch

Menschen hantieren mit Gemälden: Als das Schwarzweiß-Foto entstand, waren die Hierarchien noch klar. Die Kunst musste geschützt werden und die Fotografie hatte die Aktion zu dokumentieren. Das undatierte Foto, das während des Zweiten Weltkrieges gemacht wurde, gibt eine der Aktionen wider, bei denen Kulturgut eingelagert wurde. Während der Fotograf anonym geblieben ist, lassen sich die beiden Bilder Lucas Cranach und Robert Campin zuordnen. Eine Frau links neben der Transportkiste hat eine Art Liste in der Hand, eine andere, elegant gekleidet, scheint ein Notizbuch zu halten. Den Männern, die die beiden Bilder halten, kommt lediglich der Status von Helfern zu. Der eigentliche Akteur bleibt unsichtbar: es ist der Staat, der sich im Krieg um sein kulturelles Erbe sorgt. Wohl niemand hatte damals gedacht, dass die Aufnahme selbst einmal museal wird.

Die Sammlung Herzog, die auf gut 500.000 Fotos angewachsen ist, hat nie zwischen Kunst und Fotografie unterschieden. Ihren Anfang nahm sie auf einem Zürcher Flohmarkt 1974 und immer ging es um die Vielfalt des Lebens und seinen Abdruck auf Fotopapier. Wie unscharf die folgenreiche Trennung war, zeigen die ersten Aufnahmen, die überhaupt in die Sammlung des Kunstmuseum Basel fanden. Sie stammen von dem Schweizer Maler Frank Buchser, der ein leidenschaftlicher Sammler von Fotos war. Sie dienten vielen seiner Bilder als Vorlage, aber er wusste auch die Infrastruktur von Fotografen zu schätzen. So ließ er seine pittoresken Ansichten englischer Strandszenen gleich vor Ort durch Fotografen verkaufen. In der Ausstellung „The Incredible World of Photography“ ist er durch eine Collage seiner Freunde aus den Jahren 1853/54 vertreten. Fotografie hatte für Buchser mehr mit Inszenierung als mit Dokumentation zu tun. Das Verhältnis zwischen Kunst und einer wie auch immer gearteten Wirklichkeit war schon immer komplex. Die Fotografie stellte es dann vollends auf den Prüfstand. Dass die Sammlung Herzog nun in dieser groß angelegten Schau ganz selbstverständlich im Kunstmuseum Basel präsentiert wird, zeugt für einen Wandel und ist Auftakt einer Zusammenarbeit mit dem Jacques Herzog und Pierre de Meuron Kabinett, dem die Sammlung mittlerweile gehört. Nicht, dass hier nie Fotografie gezeigt wurde, doch die Sammlung Herzog ist anders als Arbeiten von Andreas Gursky oder Thomas Struth. Ruth und Peter Herzog haben das Kunstlose gesammelt: Familienalben, Fotos von großen Reisen oder die Dokumente neuester wissenschaftlicher Dokumentationen, aber auch Fotos, die Soldaten auf Eroberungskriegen gemacht haben.

„The Incredible World of Photography“ ist auch Ausdruck einer Selbstreflexion. Es gibt hier viele Zusammenführungen von Bild und Foto und wenn es darum geht, eine Aufnahme der Pariser Windmühlen mit einem Bild von Van Gogh gegenüberzustellen, kann das Kunstmuseum Basel aus dem Vollen schöpfen. Doch betrachtet man all die gestellten Fotos vermeintlich exotischer Völker schaut der Orientalismus zurück. Wie diese Menschen arrangiert sind mit ein bisschen gezähmter Wildnis im Hintergrund und etwas Kunsthandwerk im Vordergrund, erinnert dies an die Dioramen von Museen. Blickt man heute auf diese Aufnahmen anonymer Fotografen, denkt man auch an die „Diorama Series“ von Hiroshi Sugimoto, die er in amerikanischen Naturkundemuseen gemacht hatte. Das Medium des Fotos reflektiert die Repräsentation und unseren Umgang mit Wissen. Und denkt man an die Reproduzierbarkeit der Bilder, hat man auch die Arbeiten von Sherrie Levine vor sich, die mit „L’Absinthe“ von 1995 in der Ausstellung vertreten ist. Fotografie heute ist gebrochen durch die Theorie, die im Kunstmuseum Basel etwa durch Hörstationen mit Texten von Roland Barthes präsent ist, und durch das Nachdenken über Ordnungssysteme. Und damit kennt man sich in Basel aus, ist das Museum doch aus der Wunderkammer von Bonifacius Amerbach (1495-1562) hervorgegangen. In ihrer Vielfalt erweist sich die Fotografie als ihre legitime Erbin.