Johannes Itten: Wanderung in Bildern

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2. Oktober 2020
Text: Helen Lagger

Johannes Itten & Thun: Natur im Mittelpunkt.

Kunstmuseum Thun, Hofstettenstr. 14, Thun.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 22. November 2020.

www.kunstmuseumthun.ch

Er konnte angeblich auf Spaziergängen an keiner Kuh vorbeigehen, ohne diese hinter den Ohren zu kraulen. So erinnerte sich Marion Lichardus-Itten, die Tochter des Künstlers Johannes Itten, einst im Bieler Tagblatt an ihren Vater. „Ein bodenständiger Bauernbub ist er im Herzen gewesen.“ Dass Itten noch andere Facetten hatte, ist bekannt: Er war Lehrer am legendären Bauhaus in Dessau, Begründer einer bis heute nachwirkenden Farbtheorie, überzeugter Vegetarier und zeitweise Anhänger der spirituellen Lehre Mazdaznan.

Anlässlich des Bauhaus-Jubiläums 2019 – die Schule war 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet worden – widmete ihm das Kunstmuseum Bern eine grosse Werkschau, die Einblick in das Denken des Malers und Kunsttheoretikers gab. Man musste sich auf zahlreiche Schriften einlassen, die Schau schürfte tief und hatte – ganz im Sinne Ittens – einen ganzheitlichen Ansatz. Das Kunstmuseum Thun hat nun eine weniger kopflastige Strategie gewählt. Die Ausstellung setzt den Fokus auf das Frühwerk und sein Naturkonzept, wobei die für Itten so typische Farbfeldmalerei kaum zum Zug kommt. Man kann das bedauern, dafür bekommt man Landschaften aus Privatbesitz zu sehen, die bisher kaum oder nie gezeigt worden sind.

Wie bereits in Bern wurde auch in Thun der deutsche Kunsthistoriker und Itten-Spezialist Christoph Wagner beigezogen, der die Ausstellung gemeinsam mit Direktorin Helen Hirsch kuratiert hat. 120 Werke, in zehn chronologisch aufeinanderfolgenden Kapiteln ergeben einen vergnüglichen Rundgang, der sich zeitweise fast wie eine Wanderung anfühlt. Man taucht ein in farbenprächtige Wälder, entdeckt Bäche und Berge aus der Region und kann in einer Komposition – „Häuser am Wasser“ von 1914 – angeblich gar das Thuner Selve-Areal mit Munitionsfabrik erkennen.

Die Stadt Thun und die Natur als Leitmotive – kann das genügen? Bedingt. Die Farbtheorie Ittens wird in einem Kapitel kurz erörtert, Stationen wie Wien, Weimar und Amsterdam kommen ebenso vor wie die wichtige Zeit in Zürich, wo der Künstler 1967 verstarb. Klar, es gibt den Blick auf den Niesen – im Gemälde „Berg und See“ (1940) –, doch ganz so viel Thun wie angekündigt, ist am Ende in dieser Schau dann doch nicht drin. Dafür ist die Ausstellung zu breit angelegt.

Mit einem von Itten gestalteten Ausstellungsplakat wird in Erinnerung gerufen, dass der Künstler hier schon einmal eine wichtige Schau hatte. Es war 1962, als ihn das Kunstmuseum Thun würdigte. Briefwechsel mit dem damaligen Direktor geben Einblick, was für Itten eine gute Ausstellung war. Eine chronologische Anordnung ist in seinem Sinne, wie man erfährt. Zum Thema Natur gehören auch Ittens Jahreszeiten-Bilder, die auf seiner Farbtheorie beruhen. Er gliederte die Jahreszeiten in vier Typen, denen er Farben zuordnete. Mit „Sommerklang“ (1963) oder „Zeichen im Frühling“ (1965) wird dieser Aspekt in Form von Kompositionen aus Farbflächen zumindest angeschnitten. Doch Johannes Itten setzte sich auch figurativ mit den verschiedenen Jahreszeiten auseinander, etwa im Gemälde „Herbst am Bach“ (1912), das zum Ausstellungsplakat erkoren wurde. Es ist ein faszinierendes Bild, das einen förmlich in eine idyllische Landschaft hineinzieht.

Eindrücklich und ungewöhnlich ist auch der Raum, in dem das Spätwerk Ittens gezeigt wird. Er beschäftigte sich mit Jahresringen von Bäumen, in denen er Parallelen zu menschlichen Blutbahnen erkannte, und malte welkende Herbstblätter, die auf die Vergänglichkeit aller Dinge verweisen. Dem jungen Itten begegnet man in einem klassischen Selbstporträt von 1911. Ernsthaft und grüblerisch blickt der Künstler hinter einer kleinen Brille hervor. Den Bauernjungen kann man in diesem stilisierten Intellektuellen mehr erahnen als erkennen.