Umbruch. Johan Holtens Premiere in Mannheim

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20. September 2020
Text: Julia Hochstenbach

Umbruch.
Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, Mannheim.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, erster Mittwoch im Monat 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 18. Oktober 2020.

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Ein Jahr ist er bereits im Amt, nun endlich kann der neue Mannheimer Kunsthallendirektor Johan Holten die Konzepte für sein neues Haus in einer selbst kuratierten Schau „Umbruch“ präsentieren. Nach Ausstellungen, die noch seine Vorgängerin plante, und der Zwangspause des Lockdown, formuliert er nun sein Credo zur Fortschreibung der Geschichte des Hauses unter den Vorzeichen von Erneuerung, Offenheit und Diversität. Der 2018 abgeschlossene Um- und Neubau der Kunsthalle soll sich auch auf geistiger Ebene einlösen, wesentlich auch in der Kommunikation mit Stadt und Menschen.

In drei Kapiteln, die sich der Malerei, Video und Performance sowie der Bildhauerei widmen, spannt Holten den Epochenumfang der Kunsthallensammlung von der Moderne zur zeitgenössischen Kunst auf, dem weiblichen Kunstschaffen mit immerhin sieben von neun Positionen viel Platz einräumend. So knüpft er im ersten Kapitel an die berühmte Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ von 1925 an, mit der Gustav Hartlaub künstlerische Strömungen seiner Zeit treffend bündelte und kunstgeschichtlich einordnete – nun aber mit Werken von Frauen, die seinerzeit missachtet wurden. Tatsächlich zu Unrecht, wie man hier entdecken kann: Mit Anita Rées (1885-1933) ausdrucksstarken, stilisiert-realistischen Porträts etwa oder mit den düsteren kleinen Seelenkosmen der Berlinerin Jeanne Mammen (1890-1976), deren steile Karriere mit der Naziherrschaft ein jähes Ende fand. Mit sparsamen Strichen wirft Mammen Figuren auf das Blatt, deren Fassade durchsichtig wird und mit der hervorscheinenden Angst und Leere verschmilzt: blasse, tonlose Gesichter, angepasste Laszivität, mutlose Haltung, makaber zu grafischer Symmetrie geordnet.

Während das zweite Kapitel mit Videos und einer Tanzperformance die Öffnung der Kunst zur Gesellschaft, zum Menschen und Alltag thematisiert, knüpft Holten im dritten an die bedeutende Skulpturensammlung der Kunsthalle an und erweitert sie um einige brillante heutige, weibliche, multikulturelle Installationen. So erzählt die Amerikanerin Kaari Upson (1972) mit einer beklemmenden Zusammenkunft hängender Zwitterwesen aus Bein und Baumstumpf, zahllose Assoziationen auslösend, von der allesdurchdringenden Herrschaft der Mutter im menschlichen Unbewussten. Hinreißend die Skulpturen der chinesischen Künstlerin Hu Xiaoyuan (1977): einfache Alltagsobjekte, ein Tisch mit Nippes, ein Brett auf einem Holzbock – doch irgendwie stimmt hier nichts. Der Tisch steht auf rostig krummen Metallstangen, die kleinen Dinge, unter bunter Seidenhülle nur vage erkennbar und ihres Nutzens beraubt, liegen achtlos hingestreut wie vereinsamte Wesen, die ihren Sinn, ihr Ziel nicht kennen. Die Bretter locken den Blick mit leichtem, irisierendem Schimmer, kostbar und sich selbst fremd: Sie wurden mit Rohseide überzogen, die durchscheinende Maserung nachgemalt. In subtilem Doppelspiel maskiert das Holz sich mit seiner eigenen Färbung, verbirgt sein Ich unter dessen scheinbarer Offenbarung, wie wir es allzugut kennen aus dem Netz, von zuhause und von der Straße: einfach und klug beleuchtet die Künstlerin komplexe, leichtgenommene Verstrickungen von Wahrheit und Identität in unserer Zeit.

Schade nur, dass die drei Kapitel trotz aller Querbezüge etwas holzschnittartig nebeneinander stehen; Korrespondenzen stellen sich nicht so recht her und der Aspekt des Umbruchs bleibt auf die einzelnen Werke beschränkt, löst sich für die Ausstellung insgesamt nicht ein. So bleibt er letztlich vage, wohnt er doch wahrhaftiger Kunst, als Neuschöpfung, fast zwingend inne. Doch vielleicht geht es Holten gar nicht um eine Klammer, die alle Exponate puristisch zusammenhält, sondern vielmehr um lebendige Gleichzeitigkeit von historischer Einbettung, Perspektivwechsel, Brechung und Kommunikation; „viele Weltentwürfe“ zu zeigen, wie er anstrebt, bringt Diskontinuität und schräge Assoziationen mit sich. Spannend verspricht es also allemal in Mannheim weiterzugehen.