Profil statt Profit: Kunstmessen in der Pandemie

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1. September 2020
Text: Dietrich Roeschmann

Es war nicht nur die Corona-Pandemie, die die Vorbereitungen für die diesjährige Kunstmessewoche in Basel schwer durcheinander wirbelte. Doch die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus beschleunigten die Krise der Art Basel dramatisch. Einst Headliner des Kunstsommers am Rheinknie und größte Kunstmesse der Welt, fiel im März bereits ihre Analog-Ausgabe in Hongkong den Covid-19-Einschränkungen zum Opfer, dann wurde auch die Stammmesse in der Schweiz zunächst von Juni auf September verlegt und schließlich ganz abgesagt zugunsten einer digitalen Art Basel im Netz. Über die Erlöse schweigen die Veranstalter, ihren Angaben zufolge haben aber immerhin 230.000 Interessierte in den „Online Viewing Rooms“ der Messe vorbeigeschaut. Ihr Mutterkonzern MCH, durch das kürzliche Ende der Uhrenmesse Baselworld heftig ins Schlingern geraten, steht vor einem radikalen Umbruch. James Murdoch, Sohn des australischen Medienmoguls Rupert Murdoch und um Distanz zu dessen durch und durch reaktionärer Geschäftspolitik bemüht, steigt als Großaktionär in die MCH Group ein, deren Papiere seit Ankündigung dieser Entscheidung allerdings um ein Viertel an Wert verloren haben. Die Zukunft des Messeunternehmens bleibt ungewiss. Und auch der Kunstmarkt steckt in einer tiefen Krise. Die Erlöse der Frühsommerauktionen brachen im Vergleich zum Vorjahr um 96 Prozent ein, US-amerikanische Galerien berichten von Umsatzeinbußen von 31 Prozent im ersten und bis zu 70 Prozent im zweiten Quartal. „Ein dichtes Netzwerk von Messen, Biennalen und Ausstellungen in Museen und Galerien ist für die Entwicklung und Präsentation von Talenten an der Spitze der zeitgenössischen Kunstwelt so wichtig geworden, dass der Markt zum Stillstand kommt, wenn sich die Menschen nicht versammeln können“, stellt James Tarmy von Bloomberg fest. Dass sich an diesen Bedingungen in naher Zukunft grundlegend etwas ändern wird, ist eher unwahrscheinlich. Inzwischen haben so auch die meisten anderen Kunstmessen in Basel ihre Termine für 2020 gecancelt – von der Design Miami/Basel über Volta und Scope bis zu den Paper Positions und der photobasel, die in diesem September vorläufig nach Berlin wechselt.

Umso erfreulicher war da die Ankündigung der Liste Art Fair Basel, im September in Kooperation mit dem Kunsthaus Baselland zu einer analogen, wenn auch deutlich abgespeckten Version der Messe für zeitgenössische Positionen in die Dreispitzhalle einzuladen. Geplant war aufgrund der aktuellen Reisebeschränkungen eine Veranstaltung für ein vorwiegend regionales, allenfalls europäisches Publikum. Damit auch Galerien aus Übersee ihre Künstlerinnen präsentieren konnten, hatte Liste-Direktorin Joanna Kamm ein Host-Guest-Modell vorgeschlagen, bei dem einige der vor Ort vertretenen 35 Galerien aus Europa neben ihrem Programm auch Positionen der eingeladenen außereuropäischen Galerien zeigen sollten. Doch Mitte August wurde auch die Liste Art Fair abgesagt. „Trotz neuem Standort, einem umfassenden Schutzkonzept und der Fokussierung auf primär europäische Ausstellerinnen und Besucherinnen, hat sich zuletzt die Situation in Europa zu sehr verschlechtert, als dass wir mit gutem Gewissen die Messe durchführen könnten“, sagte Kamm. „Bei uns, unseren Galerien als auch bei unseren Partnern wuchs die Sorge um die Gesundheit aller. Dazu kommen die verstärkten Reisebeschränkungen für Risikoländer, die immer mehr europäische Länder betreffen und damit unseren Ausstellerinnen aus diesen Ländern eine Reise nach Basel unmöglich machen.“

Das ist schade, denn das neue Konzept der Liste zielte nicht nur darauf ab, die Erfahrung von Kunst und ihre Diskussion unter den Bedingungen der Corona-Pandemie trotz aller Beschränkungen im realen Raum zu ermöglichen. Zugleich ging es auch darum, die Aufmerksamkeit des Kunstbetriebs von Kleinbasel auf das Dreispitzareal zu verlagern. Der Ortswechsel wäre in mehrfacher Hinsicht sinnvoll gewesen. Zum einen hätte die Liste mit der 1200 Quadratmeter großen Dreispitzhalle den künftigen Standort des Kunsthaus Baselland bespielen und ihn damit schon mal angemessen ins Bewusstsein eines breiteren Kunstpublikums rücken können. Zum anderen wäre das neue Umfeld der Liste wie geschaffen für eine Messe für aktuelle Kunst. So befinden sich hier in unmittelbarer Nähe das Institut Kunst HGK FHNW, das HeK – Haus der elektronischen Künste als langjähriger Sondergast der Liste sowie das Schaulager, wo nun voraussichtlich als letzte verbliebene Live-Veranstaltung dieses ungewöhnlichen Messesommers die „I Never Read – Art Book Fair Basel“ vom 17. bis 20. September stattfinden wird. Seit neun Jahren präsentieren sich an dem Anlass junge Verlage und Kunstschaffende mit Artists Books, Artzines und anderem Gedrucktem sowie internationale Zeitschriftenverlage mit ihren Kunstmagazinen. Im Vorfeld gab „I Never Read“ knapp 60 Künstler*innen im Rahmen der „I Ever See, Poster Edition“ die Gelegenheit, die Künstlerbuchmesse während des ursprünglichen Termins der Art Basel Mitte Juni mit eigens zu diesem Zweck gestalteten Plakatunikaten physisch in der Basler Innenstadt zu bewerben.

Auch die Liste hingegen wird nun online stattfinden, vom 14. bis 20. September im digitalen Format „Liste Showtime“, das 72 Galerien mit je einer Künstlerin oder einem Künstler aus ihrem Programm bestreiten werden. Joanna Kamm verbindet diesen Schritt ins Netz mit einem Appell: „Wir sind der festen Überzeugung, dass gerade junge zeitgenössische Kunst nicht abgesagt werden darf. Wir möchten jeden dazu ermutigen, die Galerien und ihre Künstlerinnen vor Ort und auf den digitalen Plattformen zu unterstützen, damit sie an der Kunst weiterarbeiten können, die gerade in einer Welt der Unsicherheit so dringend gebraucht wird. Die Kraft von Kunst, diesem immateriellen Zustand Gestalt zu geben und neue Seh- und Denkweisen zu entwickeln, deren Diversität besonders wertvoll ist, wenn die Welt in der Krise steckt, sehen wir als ein Geschenk der Künstlerinnen an uns.“ Nehmen Sie die Arbeiten auf diesen Seiten, die an der analogen Liste zu sehen gewesen wären, deshalb gerne als Anregung für eine ausgiebige Tour durch die digitalen Räume der Liste Showtime.