Pati Hill: Something other than either.
Kunstverein München, Galeriestr. 4, München.
Dienstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 16. August 2020.
Zuerst kopierte sie private Haushaltsgegenstände, am Schluss kopierte Pati Hill (1921-2014) Versailles. Nur machte sie das nicht mit Bleistift, Pinsel oder einem Fotoapparat, sondern mit dem IBM Copier II. Denn Pati Hill, der der Kunstverein München mit „Something other than either“ posthum die erste institutionelle Einzelausstellung in Europa widmet, hat als Kopierkünstlerin gearbeitet. Mitte der 1970er fing sie damit an. Und bis zu ihrem Tod im französischen Sens, wo sie parallel zu New York lebte, produzierte sie ein umfangreiches, bisher fast nur in Galerien in den USA und Frankreich gezeigtes Œuvre. Dazu gehören neben den Kopierarbeiten auch Texte, Romane und selbstproduzierte Kunstbücher. In der bis Mitte August verlängerten Ausstellung sind dafür ebenfalls Beispiele zu sehen.
Rund 80 Prozent der gezeigten Arbeiten, die zweifellos eine Entdeckung sind, stammen aus Pati Hills Nachlass, der von der Arcadia University Art Gallery in Glenside, Pennsylvania, verwaltet wird. Das heißt: Viele sind überhaupt zum ersten Mal ausgestellt, und sie sind nur ein kleiner Teil der im Archiv gelagerten Gegenstände, zu denen etwa 20.000 Kopien und 17 unveröffentlichte Romanmanuskripte zählen. Auch für die Leiterin des Kunstvereins, Maurin Dietrich, war es eine große Entdeckung, als sie vor ein paar Jahren dem Nachlass gegenüberstand. Seitdem war sie immer wieder dort und hat schließlich zwei Jahre an der Ausstellung gearbeitet, die erst der Anfang einer wohl noch Jahre dauernden Aufarbeitung ist. Und für die sich Dietrich nun eine große Öffentlichkeit erhofft.
Warum die 1921 in Kentucky geborene Hill diese zu Lebzeiten nicht hatte, hat sie selber so erklärt: „Wenn du es gewohnt bist, nur ein paar Cent für eine Kopie zu zahlen, dann erscheint es nicht vernünftig, Dollars dafür auszugeben. Außerdem verblassen zahlreiche Kopien.“ Für Kopien mit einem IBM oder Xerox gilt letzteres nicht, weshalb sich 1977 ein Traum für sie erfüllte, als sie nach einer Zufallsbekanntschaft mit dem Designer und Architekten Charles Eames einen IBM Copier II auf Leihbasis bekam. Mit diesem erstellte sie unter anderem „Alphabet of Common Objects“: Eine ihrer wichtigsten Arbeiten, die aus Kopien von 45 Objekten wie Lockenwickler, einem Teebeutel oder Eierschneider besteht. Und die eine von Pati Hills zahlreichen Versuchen darstellt, eine neue Zeichensprache zu entwickeln. Ausgangspunkt für diese Experimente waren Bildanleitungen, sogenannte „Information Art“, die sie genauso wie Alltagsobjekte in den 1960ern gesammelt hat. Damit begann sie, als ihre Mutterschaft sie jahrelang ans Haus „fesselte“, nachdem sie in den 40ern und 50ern erfolgreich als Fotomodell (in der Ausstellung sieht man sie auf einem „Elle“-Cover) und Romanautorin reüssiert hatte.
Als die Sammelobjekte überhandnahmen, begann sie diese in Copyshops oder Büroräumen zu kopieren. Bald kombinierte sie Bilder und Texte zu „Picture Poems“ und erstellte daraus Künstlerbücher, für die sie heute als Pionierin der Self-Publishing-Szene gilt. Mit Kopieren und Haushalt als vermeintlichen Frauentätigkeiten lässt sich ihr Werk zudem an die feministische Kunst andocken, und mit Aspekten wie Original und Kopie oder Serialität an weitere Kunstdiskurse. Eines zum Verständnis ihrer Werke wichtigsten Bücher, die „Letters to Jill“ an ihre New Yorker Galeristin Jill Kornblee, wurde für die Ausstellung neu aufgelegt. Darin beschreibt Hill den Kopierer als ein „gefundenes Instrument“, an dem sie unter anderem die Einfachheit und Reduktion schätzt. Was übrigens Versailles betrifft: Pati Hill fotokopierte nicht das ganze Schloss, sondern aufgesammelte Gegenstände oder Abriebe von Texturen. Weil „Photocopying Versailles“ als Serie zu groß ist, ist sie im Kunstverein nur indirekt dokumentiert. Da heißt es wohl auf eine baldige Museumsausstellung zu hoffen.