Actually, The Dead Are Not Dead: We are a part of your community

Review > Stuttgart > Württembergischer Kunstverein
18. März 2020
Text: Jolanda Bozzetti

Actually, The Dead Are Not Dead. Politiken des Lebens.
Württembergischer Kunstverein, Schlossplatz 2, Stuttgart.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 10. Mai 2020.

www.wkv-stuttgart.de

Zwei Körper, an Armen und Beinen auf hölzernen Verlängerungen aufgestützt, bewegen sich rhythmisch im Raum, nehmen in fließenden Übergängen von Kampf zu Tanz verschiedenste Gestalten an, werden Tier, Insekt, Objekt. Das Video der Performance „One Breath is an Ocean for a Wooden Heart“ von Lisa Bufano (1972-2013) und Sonsherée Giles bildet das Intro zur Ausstellung „Actually, the Dead Are Not Dead. Politiken des Lebens“. Es steht dabei bildhaft für das Plädoyer von Iris Dressler und Hans D. Christ, das Denken in binären Oppositionen wie Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Subjekt und Objekt, Mensch und Tier aufzubrechen, um eine Sicht auf das Leben als Vielfalt entwickeln zu können. Tatsächlich wird in der Performance von Bufano und Giles erst auf den zweiten Blick sichtbar, dass ersterer die hölzernen Stelzen als Prothesen dienen. In Folge einer Infektion verlor die Tänzerin Lisa Bufano ihre Unterschenkel und Finger. Fortan arbeitete sie bewusst mit ihren körperlichen Einschränkungen und integrierte Prothesen und Requisiten in ihre Tanzpraxis.

„Politiken des Lebens“ ist der erste Teil einer dreiteiligen, ganzjährigen Ausstellungsreihe, die aus der letztjährigen Schau der norwegischen Triennale Bergen Assembly hervorgeht. Kuratiert wurde sie vom Direktionsteam des Württembergischen Kunstvereins. In Anlehnung an ein Zitat von Alexander Kluge fragt die Ausstellung nach unserer Verantwortung für das vergangene und kommende Leben. Zwei Aspekte stehen dabei im Vordergrund: Der aufständische Körper als Werkzeug und Objekt künstlerischer Praxis sowie ästhetische Formen und Formate, die es erlauben, die Erfahrung von Emanzipation und Widerstand zu teilen.

Mit dem theoretischen Diskurs der Behindertenrechtsbewegung befasst sich die Künstlerin und Wissenschaftlerin Eva Egermann (*1979). Sie ist Herausgeberin des Crip Magazine. In der Ausstellung wird eine Wandcollage mit Beiträgen aus den drei bisher erschienenen Editionen präsentiert. Disparate Text- und Bildbeiträge stellen den Zwang zum gesunden Körper ebenso in Frage wie normative Bestimmungen über Krankheit und Gesundheit. Der Titel des Magazins verweist auf die kämpferische Umdeutung des Begriffs „Krüppel“. Es geht um Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben. Kategorisierungen sollen unterwandert, gängiges Schubladen-Denken aufgebrochen werden. Die Idee ist es, so Egermann, das Konzept der Norm selbst abzuschaffen. Denn wenn es keine Norm gibt, gibt es auch keine Abweichungen von der Norm.

Im Medium der Zeichnung reflektiert Robert Gabris (*1986) die Themen Herkunft und Zugehörigkeit. Seine filigranen anatomischen Körperstudien haben vielfache autobiografische Elemente. Der aus der Slovakei stammende Künstler beschäftigt sich mit der Minderheit der Roma, die nun erstmalig auch in einem breiteren, künstlerischen Kontext repräsentiert sind und damit die Chance haben, ihre eigene Geschichte zu schreiben. In der Kupferstich-Serie „Das Blaue Herz“ verarbeitet Gabris die Lebensgeschichte seines Vaters, der viele Jahre im Gefängnis saß und dort Tätowierer war. Mit blauer Tinte ritzte er sich wichtige Ereignisse und Erinnerungen in die eigene Haut ein. Diesem Prozess der Einschreibung in den Körper spürt Gabris auf der Kupferplatte gleichsam wiederholend nach. Mit Fragen nach Diversität, ausgehend von der Landwirtschaft, befasst sich die schwedische Künstlerin und Forscherin Åsa Sonjasdotter (*1966). In einer Foto-Installation und dem Film „Cultivating Stories“ stellt sie ihre Forschung zur Geschichte und Kultivierung von Pflanzen vor. Gefahren für das ökologische Gleichgewicht durch Monokulturen kommen hier ebenso zur Sprache wie verborgene Verbindungen von Agrikultur zu Kolonialgeschichte, Krieg und Eugenik. Mit einem Um- und Neudenken von Landwirtschaft öffnen sich aber auch Handlungs- und Gestaltungsräume für zukünftige Generationen.