Make Fashion Sense: Mode als Selbstaneignung

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3. Februar 2020
Text: Annette Hoffmann

Making Fashion Sense.
Hek. Freilager Platz 9, Basel-Münchenstein.
Mittwoch bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 8. März 2020.

www.hek.ch

Als das Wasser kam, war die Frühjahr-, Sommerkollektion 2016 von Hussein Chalayan (1970) bereits zur Hälfte am Publikum vorbei defiliert. Und dann verstanden die Besucher der Pariser Präsentation des in London lebenden Designers auch die Funktion des Bassins in der Mitte. Die weißen, streng geschnittenen Papiermäntel der beiden Models schmolzen unter der Dusche wie Schnee in der Sonne, sie gaben den Blick frei auf aufwendig bestickte kurze Kleider mit seitlichen Schärpen und 3D-Elementen. Die oft streng wirkenden Kleider und Overalls seien von einer Reise nach Kuba inspiriert, erzählt der Modemacher in einem Interview, und dass es ihm gefalle, wie die Repräsentation einer militärischen Invasion etwas Spielerisches bekomme, zerfließen könne und darunter etwas Verspieltes enthülle. Das Video von der Pariser Modewoche ist derzeit in der Ausstellung „Making Fashion Sense“ im Basler Hek zu sehen. Auch wenn sich nur wenige Situationen vorstellen lassen, in der derartige Materialien wirklich Sinn ergeben, war Chalayan einer der ersten Designer, der sich für innovative Stoffe und Techniken interessierte. Dies und seine Affinität für die Kunst machen Chalayn zu einer Ausnahmeerscheinung.

Kleidung ist Teil unseres Müllproblems, 1,35 Tonnen sortiert jeder private Haushalt in Deutschland jährlich aus. Einerseits – andererseits ist sie auch die Schicht zwischen uns und der Umwelt. Sie reguliert eine Beziehung, die immer schwieriger zu werden droht, weil wir verantwortungslos mit den Ressourcen umgehen. Immer mehr Designerinnen und Designer verstehen sich nicht länger als Teil des Problems, sondern der Lösung. Eine Gruppe des Luzerner Studiengangs Design und Kunst zeigt in einem Materialraum ihre Forschungen mit neuen Materialien wie Bananenfasern oder veranschaulicht, welch geringer Teil an weggeworfenen Textilien derzeit wirklich wiederverwendet werden kann. Zu jenen, die in der Produktion Abfall vermeiden, gehört Kazuya Kawasaki (*1991). Der japanische Designer hat mit seinem Team ein Verfahren entwickelt, das Material spart und auf einem Algorithmus sowie einem 3D-CAD-Programm beruht. Gleichzeitig verändert diese Art der Schnittführung das Verhältnis von Kleidungsstück und Körper. Es kann ganz schön skulptural und kristallin werden.

Das Kollektiv Iyapo Repository hat 2016 einen Anzug entworfen, der mit Riemen und Schläuchen sowie einer Gesichtsmaske versehen ist. Was aussieht als könnte es einen für zukünftige Überschwemmungen wappnen, ist ein Antidot gegen Traumata, die von langen Überseefahrten herrühren, wie etwa der Verschleppung und Versklavung von Afrikanern. Kleidung ist hier ganz klassisch identitätsstiftend. Ebenfalls der Selbstermächtigung dient Ling Tans Projekt „Supergestures“, das sie 2018 in Manchester durchführte. Zusammen mit jungen Erwachsenen debattierte sie über den öffentlichen Nahverkehr, die Armut in der Stadt und fehlende Grünflächen. Das Video zeigt eine Art Prozession der Workshop-Teilnehmer, die durch ihre Anzüge, die mit LED-Leuchten und verschiedenen Sensoren ausgestattet waren, und ihre Gesten zu erkennen waren. Smarte Kleidung als Teil einer sozialen Selbstaneignung.

„Making Fashion Sense“ krankt an dem grundsätzlichen Problem der Präsentation von Mode. Was uns so nah wie die eigene Haut ist, steht vom Körper abgetrennt, wie in Kojen nebeneinander. Doch anders als Kleidung früherer Zeiten brauchen die der Zukunft Erläuterungen und Saaltexte. Die Sexyness eines Catwalks Hussein Chalayans oder gar von Iris van Herpens (*1984) Kollektion „Voltage“, bei deren Vorstellung Carlos van Camp blaue Stromblitze um seinen Körper zucken ließ, erreicht das eher nicht. Die gezeigten Kleidungsstücke sind das Ergebnis umfassender Recherchen auf unterschiedlichen Gebieten, in die man sich einlesen muss. Sie beugen wie bei Giulias Tomasellos (*1990) „Future Flora“ Scheideninfektionen vor oder schützen durch versilbertes Gewebe vor Überwachungssystemen. Dass Adam Harvey sich dafür formal an Hijab und Burka orientiert, ist fast schon wieder subversiv.