Leonor Antunes: Vergangenes vergegenwärtigen

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18. November 2019
Text: Katrin Bauer

Leonor Antunes: discrepancies with C. P. – Zurich Art Prize 2019.
Museum Haus Konstruktiv, Selnaustr. 25, Zürich.
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 12. Januar 2020.

www.hauskonstruktiv.ch

Ein Tag vor der Ausstellungseröffnung. Leonor Antunes (*1972) arrangiert inmitten einer ihrer ortsspezifischen Rauminstallationen im ersten Obergeschoss die letzten noch zu langen, herunterhängenden Zweige einer spanischen Moospflanze, die sanft fließend von einer der filigranen Stahlskulpturen fallen. Ihr konzentrierter Blick überprüft behutsam die vertikalen Linien der Pflanzenstränge. Ein Tag darauf, am 30. Oktober 2019, sind die Moospflanzen installiert und die portugiesische Künstlerin erhält den international renommierten Zurich Art Prize 2019, der einmal jährlich durch das Museum Haus Konstruktiv und der Zurich Insurance Group Ltd in einer Höhe von 100.000 Franken an Kunstschaffende verliehen wird. Als zwölfte Gewinnerin bestach Antunes, laut Jury-Statement, vor allem durch ihre „sinnlich präzisen“ Werkgruppen aus den Jahren 2017 und 2018, in denen es ihr vorwiegend um eine Korrektur der Kunst- und Architekturgeschichtsschreibung geht, durch welche weibliche Kulturschaffende bisher vernachlässigt wurden. Das Haus Konstruktiv zeigt mit „discrepancies with C.P.“ zwei Werkgruppen von Leonor Antunes, deren Oeuvre postmoderne Sichtweisen, wie auch eine kritische Haltung zur Geschichtsschreibung von Kunst, Design und Architektur des 20. Jahrhunderts eröffnet. Antunes’ eigene Biografie ist hiervon nicht ganz ausgeschlossen: die in Lissabon geborene Portugiesin emigrierte im Jahre 2005 nach Deutschland, wo sie bis heute mit Standort Berlin als Künstlerin arbeitet.

Dass das Haus Konstruktiv mit Antunes‘ Einzelausstellung auch gleichzeitig eine thematische Brücke zum Bauhaus schlägt, reiht sich in diesem Jahr – wie bei vielen weiteren Kulturinstitutionen – in das hundertjährige Jubiläum dieser Bildungsstätte ein. Denn der gemeinsame Nenner aller drei aktuellen Einzelausstellungen im Haus Konstruktiv wird durch Schnittpunkte zur kunsthistorischen Rezeption des Bauhaus gebildet. In Antunes‘ Ausstellung jedoch, findet nicht nur die Künstlerin an sich, sondern auch weitere Stimmen ihre eigene Plattform. Schliesslich möchte Antunes mittels an ihre ursprünglichen AutorInnen erinnernden dysfunktional wirkenden Möbelskulpturen ein – dazumal verneintes – Rezipieren diverser Designerinnen und Architektinnen einfordern. Diese Form von Hommage an ihre VorgängerInnen spiegelt sich gleichermaßen in der handwerklich traditionellen Verarbeitung, als auch in den Initialen des Ausstellungstitels wider: die sechs Skulpturen „Clara I-V“ und „Clara VII“ beispielsweise, im Erdgeschoss inmitten eines raumgreifenden Sisalteppichs platziert, basieren auf Antunes‘ intensiver Auseinandersetzung mit der kubanischen Möbeldesignerin und Innenarchitektin Clara Porset (1895-1981). Diese emigrierte im Jahre 1935, nach ihrer Rückkehr aus Europa und ihrer Tätigkeit am Black Mountain College in North Carolina, aufgrund ihrer Enttäuschung über die reaktionäre kubanische Politik nach Mexiko, wo sie ein „kreatives internationales Milieu“ vorfand. Von da an begann Porsets Auseinandersetzung mit mexikanischer, volkstümlicher Handwerkskunst, dessen Techniken sie später auch für ihre eigenen modernistischen Möbelentwürfe nutzte.

Mithilfe gestalterischer Entlehnungen an Porsets eigener Praxis interessiert sich Antunes demnach ebenso für die Materialität der damals entstandenen Möbelstücke, wie auch für deren sozialpolitischen Charakter. Antunes‘ Untergrabung der damaligen Machtverhältnisse möchte demnach eine Erweiterung des kunsthistorischen Kanons anstreben. Ihre Geste des Zeigens funktioniert in zweifacher Hinsicht: erstens beschäftigt sich Antunes damit, Porsets Sichtbarkeit retrospektiv einzufordern, und zweitens geht es darum, das museale Publikum selbst zu (Zeit-)zeugInnen einer postmodernen Aneignungsstrategie zu machen. Diese mag zwar auf den ersten Blick in beiden Ausstellungsräumen des Haus Konstruktiv zurückhaltend wirken, jedoch appelliert Antunes‘ Wiederaufgreifen bestimmter Formensprachen nach einer tiefgehenden Auseinandersetzung umso lauter auf eine Generierung eines alternativen kunsthis­torischen Narrativs.