Joanna Piotrowska, Stable Vices: Zwischen Liebe und Aggression

Review > Basel > Kunsthalle Basel
18. Dezember 2019
Text: Dietrich Roeschmann

Joanna Piotrowska: Stable Vices.
Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, Basel.
Dienstag, Mittwoch, Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.30 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 5. Januar 2020.

www.kunsthallebasel.ch

Eine Umarmung gibt Halt, engt ein, würgt, erstickt. Finger streichen sanft über Lider, drücken Augen zu, bohren sich in den Schädel. Die in Warschau geborene Fotografin Joanna Piotrowska hat einen unverwechselbaren Blick für die Grauzonen der Nähe, wo Unterschiede zwischen Liebe und Hass verschwimmen, zwischen Geborgenheit und Gefangenschaft, Idylle und Horror. Dass sich die 34-jährige Wahl-Londonerin für ihre jüngsten Fotoserien auf die Themenfelder Familie und Haustiere konzentriert ist da nur konsequent – in beiden Lebensbereichen geht es um Domestizierung, um Zusammenhalt bis zur Verzweiflung und den schwierigen Balanceakt zwischen Zuwendung und Zurichtung.

Auf eindringliche Weise inszeniert Piotrowska diese Doppeldeutigkeit von Nähe derzeit in ihrer großartigen Soloschau „Stable Vices” in der Kunsthalle Basel. Leicht und in fröhlichen Farben hängen hier im Oberlichtsaal sechs gedrechselte Holzstäbe von der Decke. Sie wirken zunächst wie aufrecht schwebende Zauberstäbe, flankiert von einer Reihe von Schwarz-Weiß-Fotografien, auf denen Hände metallisch glänzende Gegenstände in die Kamera halten, eine Greifzange etwa oder einen Wassernapf. Ähnliche Objekte stehen auch im Zentrum eines 16-mm-Films, der an der Wand gegenüber zwischen den bunten Stäben flackert: Zwei junge Frauen spielen hier vor dunklem Hintergrund mit Gummibällen, glatt oder genoppt, mit Kettengeschirren, Spiegeln, halfterartigen Hängevorrichtungen oder Plexiglasboxen. Dass es sich hierbei weder um Sexspielzeuge noch um orthopädische Hilfsgeräte handelt, verrät der Titel der Filmarbeit: „Animal Enrichment” ist ein krasser Euphemismus für das Arsenal an Gerätschaften zur vorgeblichen Bespaßung, wie sie etwa Schimpansen im Zoo zur Verfügung gestellt werden. Indem Piotrowska diese Objekte wie Fetische inszeniert, lenkt sie den Blick auf die eigentlichen Adressaten des Begehrens: Nicht für die Tiere sondern für die Zoobesucher wurden diese Spielzeuge designt. Nur sie können die Farben tatsächlich wahrnehmen, was den Gerätschaften einen freundlicheren Anschein geben soll als es ihre Funktion vermuten lassen würde. Denn ob Gummiball, Kauholz oder Plexiglaskiste zum Herausfingern von Karotten: am Ende dient hier alles der gezielten Vertuschung der überall sichtbaren Symptome von Hospitalismus. So mutieren in der Kunsthalle Basel auch die im Raum schwebenden Holzstangen plötzlich zu Gitterstäben, ihre Leichtigkeit wirkt wie ein bitterer Kommentar auf die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen die Unfreiheit anderer Lebewesen als sinnstiftend oder irgendwie notwendig legitimeren.

Das Motiv des Käfigs taucht auch im letzten Raum der Ausstellung auf, hier jedoch in Form eines Gitterbetts für Kleinkinder in einem mit Teppich- und Parkettmustern wild überladenen Schlafzimmer. Darin liegt eine wie paralysiert an die Decke starrende Jugendliche. Sie ist dem Bett, das Käfig und Schutzraum zugleich ist, längst entwachsen und doch darin gefangen. Die Fotografie wirkt wie eine Studie über die unvermeidlichen verborgenen Kräfte des Kollektivs, die in der Familie auf das Individuum wirken und es in seine Rolle rücken, wo es wiederum seine eigenen Kräfte als Teil der Gruppe und mit Wirkung auf andere Individuen entfaltet.

Die bedrückende und dennoch vertraute Intimität von Joanna Piotrowskas Fotografien kommt nicht von ungefähr. Für einige ihrer Paar- oder Geschwis­terbilder bat sie ihre Modelle, nach dem Konzept der Familienaufstellung des deutschen Psychologen Bert Hellinger vor der Kamera zu posieren und kreierte so zugleich vielschichtige Bildräume für einen Dialog zwischen Performance, Skulptur und Fotografie. Für andere – wie die eingangs erwähnten Körperdialoge – orientierte sie sich an Angriffs- und Schutzposen aus Kampfsport und Selbstverteidigung, um jene Spannung zwischen Leidenschaft und Aggression zu erzeugen, in der die Subjekte ihrer Fotografien nun Handelnde und Behandelte zugleich sind.