Karin Kneffel: In der Welt des Scheins

Review > Baden-Baden > Museum Frieder Burda
6. November 2019
Text: Christiane Grathwohl

Karin Kneffel: Still.
Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, Baden-Baden.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 8. März 2020.

www.museum-frieder-burda.de

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:
Schirmer/Mosel, München 2019, 224 S., 49,80 Euro | ca. 63.90 Franken.

Schon im Foyer des Museum Frieder Burda wird man in der Retrospektive von Karin Kneffel (*1957) von zwei Werken aus den 1990er Jahren begrüßt, einem Apfelstillleben und einem ihrer imposanten, sieben Meter breiten Feuerbilder. In der sich anschließenden hohen Ausstellungshalle, die wie gemacht zu sein scheint für Karin Kneffels riesige Bildformate, entfaltet sich ihr gesamtes Malspektrum: angefangen bei ihren kleinsten Arbeiten, den frühen Porträts von Hoftieren, über die hyperrealistischen Früchtebilder, bis hin zu den aktuellen Werkserien, in denen sich die Künstlerin mit Museumsinnenräumen befasst.

Im oberen Stockwerk geht es weiter mit Hunden und Interieurs, mit Vanitas-Bildern und der aktuellen Haus-Serie. Es findet sich auch eine Werkgruppe, in der Karin Kneffel sich mit Bildern ihres ehemaligen Professors Gerhard Richter auseinandersetzt. Sie ist selbst seit vielen Jahren Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in München und seit den 90er Jahren international mit ihrer Kunst erfolgreich. Ein Großteil der Werke sind Leihgaben, zusammengetragen aus privaten und öffentlichen Sammlungen.

Die Ausstellung hat eine enorme Sogwirkung. Die Bilder überwältigen, nicht nur durch ihre Größe, sondern durch die ästhetische Perfektion und die oft wie verloren anmutende Atmosphäre ihrer Protagonisten. Immer bezieht sich Karin Kneffel bei der Wahl ihrer Bildthemen auf tatsächlich Vorhandenes, Erlebtes und Erinnertes. Im opulenten Katalog findet sich ein Interview, in dem sie sagt: „Ich möchte, dass Raum und Zeiten, Gegenwart und Vergangenheit in meinen Bildern verschmelzen.“ Um das zu erreichen entwickelt sie komplexe Bildräume, in denen sich verschiedene Ebenen überschneiden. Real vorhandene Räume und Gebäude, wie die Museen Haus Esters und Haus Lange oder das Lehmbruck Museum werden zum Fiktionsgrund der Bilder. Die ausgewählten Innenräume überlagert sie mit Projektionen. Malerische Verfremdungseffekte, Spiegelungen und Unschärfen kommen zur Anwendung. Mit Ölfarbe auf Leinwand, alles mit einem dünnen Pinsel aufgetragen, schafft sie Vorstellungsräume, in denen man sich leicht verirren kann. Häufig wird die Illusion einer über dem Bild liegenden Glasscheibe erzeugt, gesteigert durch manieriert darauf perlende Regentropfen.

Eine Welt des Scheins und der Auflösung von Grenzen. Was ist Innen, was Außen? Wie im Film erzeugt Karin Kneffel in ihren Bildern komplexe Beziehungs- und Spannungsebenen. In ihrer Vielschichtigkeit changierend und rätselhaft geht es ihr jedoch immer auch um Malerei und das, was Malerei möglich macht.

So beschäftigt sie sich in ihrer jüngsten Werkgruppe mit Häusern. Ihr Modell ist ein typisches Ruhrpott-Haus der 1960er bis 1970er Jahre. In einem solchen Haus ist sie selbst auch aufgewachsen. Diese Häuser haben nichts Besonderes an sich, im Gegenteil, sie sind gesichtslos, langweilig. Und doch verwandeln sie sich auf der Leinwand in verzauberte Orte, ein wenig unheimlich, voller Erinnerungen und merkwürdig beleuchtet. Die Hausbilder sind Szenen im Dämmerlicht, mit lebhaften Baumschatten von der Straßenlaterne auf die Fassade geworfen. Im Vordergrund leuchten überbordende Tulpen in unwirklichem Rot und Gelb. Wie eine Fata Morgana materialisieren sich Fernsehbilder im Vorgarten. Es sind Szenen wie aus Filmen von Hitchcock. Jeden Moment kann etwas Grässliches oder Wunderbares passieren. Eine beeindruckende Ausstellung, die man mit Schwindelgefühlen verlässt.