Respektive Peter Weibel: Mediale Klaviatur der Möglichkeiten

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5. November 2019
Text: Chris Gerbing

respektive Peter Weibel.
ZKM – Zentrum für Kunst und Medien, Lorenzstr. 19, Karlsruhe.
Mittwoch bis Freitag 10.00 bis 18.0 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 3. März 2020.

www.zkm.de

Leuchtbuchstaben an den Wänden, große Schauwände mit Fototapeten in einem Lichthof, ein ausrangiertes Lazarettzelt im anderen, und über allem mediale Vielfalt – die Ausstellung „respektive Peter Weibel“ im ZKM in Karlsruhe ermöglicht einen anderen Blick auf den seit 1999 amtierenden künstlerischen Direktor der Institution, der anlässlich seines 75. Geburtstags mit einer umfassenden Schau geehrt wird. Sie macht deutlich, dass in diesem speziellen Fall ein dreiviertel Jahrhundert Jungsein bedeutet, dass der so Geehrte bis heute vor Ideen sprüht.

Etymologisch leitet sich das Wort „respektive“ im Ausstellungtitel aus dem Lateinischen ab und bedeutet so viel wie „beachtenswert“. Auch wenn diese Bedeutung eher selten Verwendung findet, ist sie doch auf das außerordentlich heterogene Werk von Peter Weibel passgenau anwendbar. Denn er war – und ist bis heute noch – nicht nur als Performance-, Konzept- und Medien-Künstler, sondern auch als Musiker künstlerisch tätig, teils mit fließenden Übergängen. Bei aller Heterogenität, die sich insbesondere in den von ihm gewählten künstlerischen Medien niederschlägt, gibt es zwei sich durch sein gesamtes Werk durchziehende Prinzipien: Das, was er als „Problemkonstante“ bezeichnet; darunter versteht er die ontologische Untersuchung der Differenz zwischen Abbild und Realität, zwischen repräsentierter Realität in den Medien und realer Realität. Zudem die Beteiligung des Betrachters an seinem Werk seit den 1980er Jahren bis heute. Daraus scheint sich auch der szenografische Überbau der Ausstellung abzuleiten, der zusammen mit dem Fachbereich Szenografie an der HfG Karlsruhe erarbeitet und in die Ausstellung implementiert wurde. Krankenhausatmosphäre soll durch steriles Licht, die weißen Abtrennungen und das Lazarettzelt aufkommen. Das Aufsichtspersonal ist zudem in weiße Arztkittel gewandet und der Besucher kann durch die ausliegenden Klemmbretter an der Visite teilnehmen. „Station W“ wurde das Setting bereits bezeichnet, die Welt als Ganzes sei dort Patient. Auf die Ausstellung und Weibels Vielseitigkeit bezogen, greift diese Bezeichnung aber eigentlich zu kurz.
Weibels analytischer Blick, der auch Kultur und Geschichte gilt, nimmt immer wieder prophetische Züge an, wenn man beispielsweise die kleine Wandarbeit aus den 1980er Jahren betrachtet, bei der ein Flugzeug in ein Hochhaus einschlägt, er in „Action Lecture“ den kommunikativen Breakdown thematisiert oder in „Dumb Show“, wo der Rauch Regie führt. Plakativ ist bereits der Eingangsbereich, wo das Recht im Wortsinn mit Füßen getreten werden kann. Bei all den momentanen politischen Verwerfungen, die die Fragilität der Demokratie vor Augen führen, ist diese Arbeit aus dem Jahr 1968 an Aktualität nicht zu übertreffen. Da braucht es „Courage“ (so der Titel eines der Lichtobjekte, bei dem aus den Buchstaben des Worts weitere durch Aufleuchten entstehen) – und vielleicht auch ein bisschen mehr, nämlich die Rage, um aus dem Käfig (Cage) der lieb gewordenen Gewohnheiten auszubrechen.

Mit diesen bricht Weibel immer wieder, auch in seinem Œuvre. Die Persiflagen auf Werbe- und vor allem seine Musikvideos sind echte Hingucker. Letztere machen deutlich, dass Weibel auch hier auf der Suche nach neuen Ausdrucksweisen und Präsentationsmöglichkeiten war. Mit seiner Band, dem „Hotel Morphilla Orchester“, kam 1982 das zur Single „Sex in the City“ zugehörige Video als „kleinste Schallplattenproduktion der Welt“ heraus, aufgenommen in einer Telefonzelle. Die Hörerinnen und Hörer konnten eine Woche lang durch das Wählen einer Telefonnummer zum temporären Bandmitglied werden. Anschauen, ausprobieren, mitmachen, mal nachdenken, mal schmunzeln – die Ausstellung spielt auf einer deutlich breiteren Klaviatur der Möglichkeiten, als im Mu­seumsbetrieb sonst üblich, zugleich fasziniert Weibels eigene Klaviatur, die er bis heute gleichermaßen mit großem Spaß, großem Ernst und immenser Vielseitigkeit bedient. Sie macht seinen „Markenkern“ aus.