Martina-Sofie Wildberger.
Museum zu Allerheiligen, Klosterstr. 16, Schaffhausen.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
28. November 2019 bis 16. Februar 2020.
Martina-Sofie Wildberger: Cahiers d’Artistes, mit einem Text von Quinn Latimer, Edizioni Periferia, Luzern 2019, 60 S., 15 Euro | 18 Franken, die dazugehörige App gibt es kostenlos im App Store oder bei Google Play.
Man wünschte sich gegenwärtig, dass weniger geredet werden würde. Dass seltener der Drang aufkäme, etwas sagen zu wollen. Rhetorik ist derzeit weniger die Redekunst als die Demagogie. Man kann geradezu zuschauen, wie sich die Worte in manchen Mündern verdrehen und Lügen entstehen. In der Politik dominiert der Typus des Volkstribuns. Die Performances von Martina-Sofie Wildberger (*1985) basierten von Beginn an auf Sprache. Man wird der aus Neunkirch stammenden Künstlerin, die bevor sie Kunst studierte, einen Abschluss in Kunstgeschichte und deutscher Literatur machte, eine gewisse Hellhörigkeit unterstellen dürfen.
Sieht man Performances von Martina-Sofie Wildberger, der in diesem Jahr der Manor Kunstpreis Schaffhausen zugesprochen wurde, dann muss man daran denken, wie Kinder in jedem Wort eine Welt erkennen können und wie komisch es aussehen kann, dieses Wort zu bilden. Geschweige denn es mehrfach und immer anders auszusprechen. Während eine frühe Arbeit Wildbergers, die für den Performancepreis 2013 zusammen mit Jeanne Macheret und Ramona Altschul entstand, noch die Faszination den Vulkan namens Eyjafjallajökull ausstellte und mit ganz realen Wirkungen konterkarierte, die sein Ausbruch für den Flugverkehr bedeutete, sind in den letzten Jahren die Arbeiten politischer geworden. In „I want to say something“ (2017) stehen sich Tobias Bienz, Denise Hasler und Martina-Sofie Wildberger in einem Dreieck gegenüber und sprechen wie aus einer Kehle das „I“, mit dem der Satz und jede Erfahrung von Welt beginnt. Sie tragen eher neutrale Kleidung, T-Shirts und Hosen sowie Sneakers, wie so oft in Wildbergers Performances, und sie halten Augenkontakt. Dann differenziert sich der Klang, wird mehr Atem als Sinneinheit. Weiter im Satz klingt das „want“ nach einem Aufbruch, nach etwas, das ein Ziel hat. Je länger die Performance dauert, desto mehr Nuancen lässt der Satz zu. Er wird gesungen, deklamiert und obgleich nichts inhaltlich über ihn hinaus weist, ist in ihm auch eine Verweigerung enthalten, in dem „want“ wird ein „won’t“ angestimmt. Und die Verve, mit der die drei Performerinnen und Performer agieren, wirkt beängstigend. Kündigt sich in ihr doch an, dass der Wille, etwas zu sagen alle Inhalte übertönt und zur Machtausübung wird. Oder aber zur Selbstermächtigung.
Bereits in der Arbeit „Eyjafjallajökull“ zeigte sich, dass Sprache einen Raum braucht, um sich entfalten zu können und Echo zu werden. Die drei Performerinnen steckten unentwegt Kabel in Lautsprecher um, die auf dem Boden ein Wirrwarr ergaben. Würde man die Wege der Performer von Wildbergers neueren Arbeiten aufzeichnen, entständen ähnliche Bodenzeichnungen. So wie die Texte Wildbergers strukturiert sind, einerseits durch literarische Mittel, andererseits durch Verfremdungen, so sind die Bewegungen im meist cleanen Raum eines White Cube choreografiert. In „Speak up!“, eine Performance aus dem Jahr 2016, die vom Wahlkampf in den USA beeinflusst war, sprechen drei Performerinnen und Performer das Wort „around“ so, dass Wortbedeutung und Klang sich decken. Doch anstelle sich zu drehen, bleiben die drei hintereinander stehen. In „Read the Room“ (2014) beschreibt die Künstlerin erzählend die Zimmer, in denen sie lebt und arbeitet und implantiert durch ihre Gänge und Gesten diese in den Ausstellungsraum. Was Martina-Sofie Wildberger mit ihren Arbeiten erzeugt, ist ein analoges Rauschen. Sie überlagert Töne und Narrative, schafft Simultaneitäten und zeigt deren Faszination auf, während sie diese analysiert und einem Publikum vorführt.