Sergej Vutuc: Hauptsache Bewegung

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3. November 2019
Text: Bernhard Bunny Stumpfhaus

Sergej Vutuc.
Kunstverein Heilbronn, Allee 28, Heilbronn.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 12. Januar 2020.

www.kunstverein-heilbronn.de

Den Ausstellungsreigen, den der Kunstverein Heilbronn anlässlich der Buga2019 der Stadtlandschaft und der Stadt an sich gewidmet hat, beschließt eine Präsentation des kosmopolitisch in der Skaterszene bewegten Künstlers Sergej Vutuc (*1979). Man wolle nun nach Interventionen im offiziellen Stadtraum einen Blick wagen auf Un-Orte – interessanterweise heißt Unort nicht nur: non space, space between, space off, sondern auch ou-topos als Basis für den Begriff ‚Utopie‘. Vutuc gestaltete die neutral erwartungsvolle Atmosphäre des White Cubes – auch eine Form des Un-Ortes – um in melancholisch gedämpftes Grau und Schwarz. Kaum ein Künstler hat die Melancholie der Verletzlichkeit des Körpers, des Vorüberrollens in einer sich permanent wandelnden Kulisse derart ins Bild gesetzt wie Vutuc. So betont die Kuratorin Matthia Löbke vor allem die Inszenierung der Bewegung im Raum als einen Hauptaspekt der Arbeiten: „Vutuc bezieht die Bewegung mit ein, ja, er kommt aus dem Motiv der Bewegung und versetzt die Betrachter durch seine spezifische Inszenierung mit in Bewegung.“

Tatsächlich ist der Künstler bei der Montage seiner Arbeiten – im Wesentlichen riesige Wandbilder, die aus einzelnen gleichgroßen, dunkel bedruckten Kopierblättern montiert sind – auf einem rollenden Bürostuhl von Bahn zu Bahn unterwegs, wie es eine Making-Off-Doku des Kunstvereins zeigt. Und tatsächlich wird der Betrachter in Bewegung versetzt – in schreitende, nicht rollende, da das Skaten in der Ausstellung verboten ist –, will er die immensen Dimensionen der Wandgestaltungen erfassen. So passt es auch, dass ein Teil der Ausstellung mit von der Decke hängenden, sich kulissenhaft überschneidenden Bildfahnen bestückt ist, die gleichsam ein Bühnenbild sind, vielleicht für einen Musik-Akt des Künstlers mit „Skateboard on Strings“, vielleicht für Betrachter, die in der Ausstellung die „Bretter betreten, die die Welt bedeuten“.

Bei aller bewegten Dynamik ist es durchaus eine Bemerkung wert, dass der Künstler einen Unterschied macht zwischen beweglich und mobil: Die leichten Stoffbahnen, immobil von der Decke hängend, bewegen sich leicht durch den vom gehenden Betrachter erzeugten Luftzug. Der Unterschied von Beweglichkeit und Mobilität ist von Relevanz, da die Automobil-Industrie, welche die Straßen beherrscht, von neuen Mobilitätskonzepten träumt. Mobil ist allerdings die Ausstellung selbst. Ist sie doch so angebracht, dass die kopierten Blätter an den Wänden wieder abnehmbar, recyclebar sind, zu einem Buch zusammengelegt werden können, um in einer anderen Ausstellung noch einmal in anderer Form auszuliegen, so zumindest eine Fantasie, die aufkommen mag, wenn man die einzige Ausnahme vor Ort, ein großes Künstlerbuch in einer Vitrine, beachtet, eine Reminiszenz der Ausstellung „Constellations“ in Konstanz, 2017. Bewegung bedeutet auch die Installation dutzender kopierter Einzelbilder im Hoch-, im Querformat. Zum einen eben die Bewegung des Künstlers während der Anbringung, zum anderen die Betonung des Gemachten, Gewordenen und Vergänglichen, dass das (Wand)Bild nicht wie eine Ikone vom Himmel fiel, sondern mühselig zusammengeklebt wurde. Übrigens, in den stumpfen Oberflächen seiner Fotokopien und im deutlich sichtbaren Low-Budget seiner Arbeiten ist durchaus auch eine – wenn nicht Opposition, so doch – Unabhängigkeit zum derzeitigen Kunstmarkt zu erkennen, dessen Produkte vor allem durch glänzende Oberflächen wertiger Materialien prunken. Wertigkeit drückt Vutuc aus durch großzügige Flächengestaltungen und eine subtil dramatische Beleuchtung der Bildfahnen.

Bewegung ist nicht bloß ein „Move“ von hier nach da. Bewegung ist Werden und Vergehen – im Gegensatz zur Unveränderlichkeit der Ideen. Insofern ist die Reflexion der Bewegung – ob im Setting der Ausstellung, ob im Motiv – an sich eine Reflexion auch über das irdische Leben hier, bei Vutuc eine des Motivs und der Motivgestaltung; Letzteres setzt Vutuc ins Bild durch Diffusion, eine Verunklärung des Motivs durch sein Verschwinden oder während seines Entstehens, je nachdem wie man es sieht. Wer sich dafür interessiert, möge nun den Kopf heben und die Ausstellung besuchen.