Vanitas Contemporary: Die anderen Blüten der Vergänglichkeit

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2. November 2019
Text: Florian F. Arnold

Vanitas Contemporary.
H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast, Beim Glaspalast 1, Augsburg.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 19. Januar 2020.

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Nichts ist für die Ewigkeit gemacht, dessen war sich auch Adriaen van Utrecht 1642 bewusst als er einen Totenschädel neben verderblichen Blüten inszenierte und so ein Sinnbild für die Vergänglichkeit schuf. Solcherlei Memento Mori findet sich auch in der Kunst der Gegenwart, treibt hier aber andere Blüten. Da geht es nicht mehr um die Furcht des Individuums vor dem ungewissen Jenseits, sondern um die Vergänglichkeit der ganzen Welt.

Die Ausstellung „Vanitas Contemporary“ im H2 Zentrum für Gegenwartskunst im Augsburger Glaspalast bietet eine Vielzahl künstlerischer Positionen an, die sich mal mehr, mal weniger deutlich dem Thema Vergänglichkeit widmen. Das hat Witz, wenn der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner (1958) in seiner Heimat müllreife Skistiefel, Schuhsohlen und (Ski-)Helme sammelt, um daraus eine Installation zu machen, die er mit treffendem Witz „Après Ski“ taufte: An einen Kultplatz der Wegwerfgesellschaft erinnern die auf dem schwarzen Boden ausgelegten Sohlen, und wo Hechenblaikner Reste von Skiern beinah sakral als Wandobjekte inszeniert, wird der Massentourismus zum grotesken Phänomen. Hechenblaikner thematisiert in seinen Fotoserien seit langem die massiven Veränderungen seiner Heimat durch die Touristen. Drastischer wird er in einer Reihe von Gegenüberstellungen. Da paart er ein historisches Foto mit einem von ihm fotografierten aktuellen Farbbild, wobei seine eigenen Aufnahmen kompositorische Entsprechungen zu den alten Motiven darstellen. Da präsentiert in der Vergangenheit ein Bauer stolz seine Schafe – in der Gegenwart sind es in fast gleicher Art und Weise Golfspieler mit ihren Tolleys. Auch die Skier tauchen wieder auf: Als riesiger Haufen zerbrochenen Sondermülls, dem eine historische Ansicht eines Misthaufens zur Seite gestellt wird. Konsumkritik mit Köpfchen und Humor. In anderen Arbeiten der von Thomas Elsen, Kurator und Leiter des H2, kuratierten Schau geht es nicht um Konsumkritik, sondern um die Endlichkeit des Körpers – etwa bei Altmeisterin Herlinde Koelbl (1939), die einen Totenschädel mit Haarschopf zeigt. Koelbls fotografische Serie „Haare“ (2007) widmet sich dem so verehrten und, mit fortschreitendem Alter, immer deutlicher das eigene Welken anzeigenden Haar. Es wird grau, es wird licht, fällt aus – und wächst, wenn der Körper gestorben ist, dennoch für einen kurzen Augenblick weiter. Diese Diskrepanz von Tod und Leben macht auch der Finne Jaakko Heikkilä (1956) sichtbar. Seine spiegelnden Wasserbilder zeigen ebenso wie die Ausschnitte bröckelnder Mauern die einmalige Stadt Venedig, die ihre Pracht mehr und mehr an das Wasser verliert.

Neben den vielen Fotopositionen geht die Malerei beinah unter – dabei ist mit der kraftvollen Malerei von Norbert Tadeusz (1940-2011) eine wuchtige Fleischbeschau im Stile Soutines zu sehen: Ein aufgehängter, mit herausgerissenen Gedärmen präsentierter Schweinekadaver erinnert daran, dass der Mensch aus dem gleichen Material gemacht ist wie das Tier, das er verzehrt. Eine dunkle Ahnung vom Vergehen der Persönlichkeit sendet die Malerei des Augsburgers Christofer Kochs (1969), in der abstrahierte Gesichter das Vergessen, das Vergessenwerden aufnehmen. Eine durchweg poetische Position nimmt dagegen wiederum Herlinde Koelbl mit einer Klanginstallation ein: „Remember“ stellt als Endlosschleife die Frage. „Do you remember (the death of your mother) …“. Am Ende steht der Satz: „Life is changed, not ended“.  Das regt gewiss mehr zur eigenen Positionsbestimmung angesichts des großen Themas Sterblichkeit an als der auf einem zum Kubus zusammengezurrten Altpapierberg stehende Hirsch von Gloria Friedmann (1950), der zwar einen ganz effektiv kalkulierten Blickfänger für die Schau abgibt, aber doch im Dekorativen verbleibt.

„Vanitas Contemporary“ findet vor allem dort zu einer zeitgenössischen Neuauffassung des klassischen Begriffs, wo präzise Metaphern Nachdenken auslösen. Oder wo die Zwiesprache mit den „Großen Alten im Wald“, wie eine Schwarz-Weiß-Fotoserie von Stefan Moses heißt (1928-2018) mit Augenzwinkern deutlich macht, wie eine Generation jeweils der nächsten weichen muss. Nichts hält die Zeit auf.