Skafte Kuhn: Noch nicht vorbei

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17. Oktober 2019
Text: Christel Heybrock

Skafte Kuhn.
Rudolf Scharpf Galerie, Hemshofstr. 54, Ludwigshafen.
Donnerstag bis Sonntag 13.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 5. Januar 2020.

www.wilhelmhack.museum

Etwas ist hier geschehen und womöglich noch nicht vorbei. Ein Teppich hängt an einer Ecke wie zum Trocknen nach einer Katastrophe, die Person auf einem großen Bild an der Wand hat geschmolzenes Kerzenwachs anstelle des Gesichts, und irgendwo hängen Kleidungsstücke zusammengeknüpft an einer Schnur, nein, nicht am Garderobenhaken, sondern fast wie das Symbol einer Hinrichtung. Wo sind die Personen, die mal drin steckten in den abgelegten Klamotten? Was ist mit ihnen passiert? Leben sie noch, konnten sie flüchten? Oder ist alles gar nicht so schlimm, sind es nur die eigenen Assoziationen, die undefinierbare Befürchtungen wecken?

Dass der Mannheimer Künstler Skafte Kuhn (*1969) in der Rudolf-Scharpf-Galerie ausstellt, der Projekt-Galerie des Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museums, kommt fast schon etwas zu spät: Braucht jemand mit diesem Ausstellungsrenommee noch eine Projektgalerie? Man kann es aber auch inhaltsbezogen sehen – die ganze Ausstellung ist ein Projekt, weil Kuhn sein künstlerisches Selbstverständnis so angelegt hat. Mit dem Titel „Bonjour Melencolia“ bezieht er sich bereits auf eine kaum überschaubare kulturhistorische Bandbreite. „Bonjour…“ – war da nicht „Bonjour Tristesse“, der Debütroman der inzwischen vergessenen, 2004 verstorbenen Françoise Sagan? Und „Melencolia“? Der berühmte Kupferstich Albrecht Dürers von 1514? Der Dürer-Stich wird von Kuhn in der Schau immer wieder zitiert und variiert, vor allem der rätselhafte Polyeder, der neben Dürers allegorischer Figur liegt: Kuhn setzt ihn im Obergeschoss als große schwarze, halb transparente Bodenskulptur ein, erinnert aber auch durch Masken an die geometrische Form. Die fotografierten, zweidimensionalen Figuren tragen eine Anhäufung dreidimensionaler kleiner Poly- oder Tetraeder auf dem Gesicht, als wären es glitzernde Juwelen. Das menschliche Gesicht dahinter: ausgelöscht. Nicht nur hier, sondern auch beim Einsatz von Bandagen – sie hängen etwa über zwei Stockwerke durchs Treppenhaus – fühlt man sich an ägyptische Mumienmasken erinnert, während sich Textilien ebenso wie Motive von Ausschnitten, Überlagerungen oder Anhäufungen wiederholen.

Und ähnlich wie Dürer mit dem Zustandsbild der Melancholie die künstlerische Existenz zwischen Schaffen und Lähmung sichtbar machte, deutet auch Kuhn auf einer wie Müll beiseite geworfenen Einkaufstüte an: „Ohne / geeignetes / Material / wären die Ideen / in den Köpfen / der Künstler/ gefangen“. Zum „Material“ zählen dabei auch Querverweise auf Literatur und Musik, Gedichte zwischen Shakespeare und Rilke, Songtexte von Pink Floyd, Anne Clark oder besonders das Alan Parson Project von 1976, das sich wiederum auf Edgar Allan Poe bezieht. „…und lautlos schloss das Wasser sich“ ist ein solches Zitat. Worüber schließt es sich? Was ist geschehen? Ein Mord? Etwas wurde ausgelöscht, aus dem Zusammenhang geschnitten und ließ leere Hüllen zurück. Etwas hat sich verändert für immer und ließ etwas zurück – in uns.