Asta Gröting: Der lange Faden der Zeit

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17. Oktober 2019
Text: Alice Henkes

Asta Gröting.
Kunsthaus Pasquart, Seevorstadt 71-73, Biel/Bienne.
Mittwoch und Freitag 12.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 12.00 bis 20.00 Uhr, Samstag bis Sonntag11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 24. November 2019.

www.pasquart.ch

Drei grosse Projektionen auf drei Wandflächen: Die Videoarbeit „First Drink“, ist eigens für die Ausstellung entstanden. Der Raum ist dunkel, die Projektion von matter, verhaltener Helligkeit. Die Bilder der drei Videos erinnern in ihrem sorgfältigen Arrangement an klassische Stillleben: hier liegt eine Handvoll Quitten, dort ein weisses Tuch, Gläser, Karaffen stehen dekorativ dabei. Aber auch eine Kolben-Kaffeemaschine, ein Wasserkessel, Teebeutel. Dann erscheinen Menschen im Bild. Nie sieht man mehr als einen Ausschnitt des Oberkörpers – eine Partie zwischen Achsel und Hüfte – und Hände, die mit Tassen, Kannen, Kaffeedosen hantieren. Es wirkt wie ein sehr ästhetisches und beruhigendes Ballett der Finger und Dinge, das die in Berlin lebende Künstlerin Asta Gröting (*1961) da inszeniert hat, eine präzise Dokumentation von Ritualen, ein Reigen stiller Tätigkeiten, dem man lange zuschauen kann. Man kann sich fragen, wer diese Menschen sind, die sich da ihren „First Drink“, ihr Morgengetränk zubereiten. Was genau sie da eigentlich trinken. Ob und in welcher Weise die Getränkewahl die Personen charakterisiert. Man kann über die erstaunliche Vielfalt der Zubereitungsmöglichkeiten nachsinnen und darüber welchen Bedeutungswandel vor allem Kaffee als Getränk in den letzten Jahrzehnten erfahren hat. Man kann sich aber auch einfach den schlichten, gewohnheitsmässigen Bewegungsabläufen der Agierenden überlassen. Dem sanften Dämmerlicht der Projektionen. Der milden Rätselhaftigkeit der Bilder. Denn so eindeutig die Videoarbeit zeigt, dass es hier um Morgen-Getränke geht, so wenig verrät sie darüber, mit wem wir es hier zu tun haben. Die Personen bleiben anonym ohne Gesicht, die fertigen Getränke werden im Off konsumiert. Wesentliche Teile der Handlung, oder dessen, was man als Handlung erwarten kann, finden ohne Publikum statt.

Asta Gröting zeigt Ereignisse und kausale Zusammenhänge nicht direkt. Sie zeigt das Vorher, das Hinterher, das Dazwischen und erzeugt so subtile Spannungsbögen. Zum Beispiel in ihrer jüngsten Serie „Berliner Fassaden“, an der sie seit 2016 arbeitet. Mit Silikon formt sie die Fassaden von Gebäuden ab, die im Zweiten Weltkrieg beschädigt wurden. Einschusslöcher werden in diesen Abdrucken zu Verdickungen und Wülsten, an denen Staub und Schmutz kleben, die sich seit Jahrzehnten in den Beschädigungen der Fassade angesammelt haben. Asta Grötings „Berliner Fassaden“ erzählen in stiller Beredtheit von den Ereignissen des Krieges und vom langen Faden der Zeit, der sich in den Einschusslöchern zusammengerollt zu haben scheint. In ihm sind all die Gedanken und Reflexionen über Krieg und Schuld und Verletzlichkeit eingezwirbelt. Die Zeitgeschichte, die uns als fortlaufender Erzählstrom in Medien und Familien fortwährend begleitet.

Wie auch in ihrer grossen Videoarbeit gelingt es der Künstlerin mit diesen Silikonabgüssen von Hauswänden, der unsichtbaren Zeit nachzuspüren und die Aufmerksamkeit auf jene unstofflichen aber dennoch deutlich spürbaren Faktoren zu richten, die das Leben stark bestimmen obwohl oder gerade, weil sie eigentlich kaum zu greifen sind. Wobei Asta Gröting sich weniger für die Zeit an sich interessiert, sondern mehr den Lücken nachsinnt, die sich zwischen bestimmten Zeiten und Ereignissen, aber auch in zwischenmenschlichen Beziehungen auftun können. Und auch hier, im intimen Raum zwischen zwei Menschen, ist das Material der Künstlerin Silikon. Für ihre Arbeit „Space Between Lovers, Unfolded“ hat sie zwei Schauspieler während des Geschlechtsverkehrs abgeformt. Die weisse Silikonskulptur, die dabei entstanden ist, wirkt auf den ersten Blick wie eine übergrosse Blüte oder Koralle. Schaut man genauer hin, erkennt man hier ein Kinn, dort eine Brust, Körper, die unterhalb der Hüfte zusammenlaufen. Das bizarre Gebilde erinnert an medizinische Präparate, an Darstellungen siamesischer Zwillinge. Der Silikonabdruck als Zeuge sensitiven, emotionalen Erlebens wirkt irritierend und weniger überzeugend als dort, wo es um Häuser und Geschichte, um Raum und Zeitläufe geht.