Renée Levi, Rhabarber: Bilder wie Wände und Fenster

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14. Oktober 2019
Text: Annette Hoffmann

Renée Levi: Rhabarber.
Museum Langmatt, Römerstr. 30, Baden.
Dienstag bis Freitag 14.00 bis 17.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 8.Dezember 2019.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:Hatje Cantz, Berlin 2019, 128 S., 40 Euro | ca. 38 Franken.

www.langmatt.ch

Der eigentliche Belastungstest für Künstlerinnen und Künstler ist nicht etwa das eigene Auge oder nachgeordnet das der Betrachtenden, es ist die Natur. Edvard Munch hat es getan und jetzt hat auch Renée Levi (*1960) eines ihrer Bilder der Natur überantwortet. Wer sich ihre Ausstellung im Museum Langmatt ansieht, kommt nicht umhin eine Arbeit zuerst wahrzunehmen. Sie befindet sich im kleinen Birkenhain des Parks, eine Trägerkonstruktion verhindert das Umkippen der Leinwand, nicht aber die Einflüsse von Wind und Wetter. Die leuchtend gelben, türkisenen und violetten Flächen konkurrieren noch mit den letzten Farben im Garten. Schaut man genauer hin, erkennt man kleine Fliegen und andere Insekten, die auf dem Bild kleben. Es wird nicht bei diesen Veränderungen bleiben, wenn der Herbst in den Winter übergeht. Die Bilder der Basler Malerin verortet man, selbst dann, wenn man ihnen im White Cube eines Museums oder einer Galerie begegnet, instinktiv im Außenraum. Mehr jedoch an urbanen Orten als in der Natur. In Baden ist die Künstlerin nun in ihrer Ausstellung „Rhabarber“ einen besonderen Spagat eingegangen: hier die befriedete Natur eines Garten und dort die Villa von Sidney und Jenny Brown.

Das einzige Häusliche an den Bildern von Renée Levi, so könnte man kalauern, ist, dass sie statt zum Pinsel öfters zum Wischmopp greift. Levis Bilder reiben sich am Maßstab, den die Villa Langmatt vorgibt. Es ist ein Haus, das in die ländliche Umgebung mit den Weinbergen auf der anderen Seite der Limmat eingepasst ist: repräsentativ, aber heimelig. Wie groß der Bruch zwischen den Wohnräumen und Levis Malerei ist, kann man bereits im Esszimmer erfahren. Dort lehnen zwei zusammengehörige Bildformate an der Wand und schließen den Außenraum aus. Reihen von türkisfarbenen Kringeln, in die sich mitunter ein Blau mischt, füllen die Leinwand. Dazwischen ist genügend Weiß geblieben, um einen heiteren Eindruck zu hinterlassen. Die Kreise sind Manifestationen von Gesten. Das Format jedoch so groß wie ein Fenster oder gar eine Wand. In der Galerie ist der Eingriff noch einmal radikaler. Dort, wo bis dahin bedeutende Werke des Impressionismus hingen, sind nun die Bilder von Renée Levi installiert. Von den Insignien eines bürgerlichen Interieurs sind lediglich ein paar gepolsterte Sessel geblieben. Da die Samtstoffe derart mit den starkfarbenen Bildern harmonieren, wirkt es mehr wie ein ironisches Statement als eine Anspielung auf die frühere Nutzung des Raumes. Indem Levi jedoch die Bilder nicht nur an die Wand hängt oder lehnt, sondern insbesondere bei den Formaten, die mehrere Meter hoch und breit sind, hintereinander staffelt, entstehen Räume, die man begehen kann. Und überhaupt hat es den Anschein als bewegte man sich in einem Bildraum. Denn nicht nur kann man in diesen Gängen neue Sichtweisen gewinnen, die expressiven Farbflächen in Orange, Türkis, Violett oder Gelb, Grün und Ocker spiegeln sich auf dem Parkett, das selbst aus lauter kleinen viereckigen Flächen besteht. Die Bilder lösten sich auf, verdoppeln sich und schaffen einen Resonanzraum um sich. Nicht grundlos heißt die Ausstellung und einige der neu entstandenen Bilder „Rhabarber“. Man kann das Wort kaum aussprechen, ohne ein begleitendes Gemurmel zu erzeugen.

Wie sehr die Ausstellung dann doch auf die räumlichen und architektonischen Begebenheiten reagiert, zeigt sich in der Bibliothek. Auch hier findet sich eines der Großformate Levis mit den charakteristischen Farbflächen. Es schafft eine Achse hin zur Galerie und zum dritten Großformat im Garten. Die kleinere, nicht gerahmte Arbeit „Frame“ von 2005, die auf einem Regalbord steht, zeigt in orangefarbenem Fonds Einschlüsse, die ein wenig einer fortlaufenden Schrift ähneln. Das Ornamentale hatte bereits seinen Platz im Esszimmer, doch hier muss man zudem an die Glastüren der Bibliotheksschränke denken, hinter denen die Bücher vor Licht und Staub geschützt sind, aber auch an die Adern, die den Marmor des Kaminsims durchziehen. Hier ist dann alles Bild.