Monica Ursina Jöger, Shifting Topographies: Schwarze Hoffnung, grünes Gold

Review > Burgdorf > Museum Franz Gertsch
12. September 2019
Text: Sandra Hampe

Monica Ursina Jäger, Shifting Topographies.
Museum Franz Gertsch, Platanenstr. 3, Burgdorf.
Dienstag bis Freitag 10.00 bis 18.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 24. November 2019.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: modo Verlag, Freiburg 2019, 56 Seiten, 25 Euro | 28 Franken.

www.museum-franzgertsch.ch

Was war zuerst: Utopie oder Dystopie? Monica Ursina Jägers Arbeiten agieren zwischen beiden Begrifflichkeiten und ihren spezifischen Bildwelten. Sie untersuchen, verschieben und verhandeln unsere Vorstellungen von Natur und Kultur und projizieren ihre Ergebnisse direkt in die Krisen des Anthropozän. Das Verhalten jedes einzelnen wirkt sich in diesem jetzt angebrochenen Erdzeitalter direkt auf biologische, geologische und atmosphärische Prozesse aus. Das kapitalistische System ist zur existentiellen Bedrohung für das Überleben der Menschheit als Ganzes geworden.

Im Ausstellungsraum des Kabinetts im Museum Franz Gertsch zeigt die Zürcher Künstlerin (*1974) gleich an der ersten Wand, wie sich starre Fensterformen von Architekturen – in diesem Fall von Verdichtungsbauten beschleunigter Urbanisierung in Singapur – als Negativformen in Fotografien des Regenwalds fressen („shifting topographies“, 2018). Die kleineren, unter anderem mit Chlorophyll-Grün bemalten und mit natürlichen Materialien wie Blättern collagierten Papierarbeiten aus dieser Serie hängen wolkenartig arrangiert wie Ideenskizzen an der Wand vor einem dunkelgrünen Hintergrund, der den Raum an mehreren Stellen unterteilt. Auf den Weißflächen dazwischen sind Jägers großformatige Tuschzeichnungen der Serie „future archaeologies“ (2016, 2017 und 2019) präsentiert. Ihr archaischer Schwarz-Weiß-Kontrast lässt die anachronistischen Bildinhalte – aus verdichteten Landschaften von überwucherten utopischen Architekturen der 60er und 70er Jahre und architektonischen Fragmenten der Jetztzeit, die in kargen geologischen Verwerfungen liminaler Felsen- oder Küstenlandschaften zusammenfinden – als Behauptungen im Raum stehen. Im Landschaftsbild blitzen dabei immer wieder Leerstellen und Fragmente auf, die wir von Darstellungsfehlern im Digitalbild kennen. Artefakte und Pixelfehler, die Jägers räumlich und zeitlich bereits enthobene Bildwelt dezent mit dem digitalen Raum verknüpfen.

Was an den Wänden durch den farblichen Hintergrund voneinander getrennt wird, findet in der Raummitte Resonanz in Jägers Installation „before, be­neath, beyond“ (2019). Architektonische Schollen aus MDF driften im Raum. Als Behältnisse, die formal an den visionären Großwohnkomplex „Stadt der Sterne“ (Cité des Étoiles, 1974) des französischen Architekten Jean Renaudie erinnern, sind sie mit Schmelzkammerschlacke und glitzernder Steinkohle, dunklen Pfützen und schwarzen vertikal emporragenden Stäben gefüllt. Dass Schlacke auch als Düngemittel fungiert und die metallen erscheinenden, aus den Formen ragenden Stäbe aus Fichte sind, macht deutlich, wie Jäger in ihrer Materialsprache immer wieder einen Kreislauf und einen Ursprung des menschlich Produzierten in der Natur sucht.

Auf beunruhigende Art beruhigend erscheinen Monica Ursina Jägers im Raum ausgebreitete Szenarien und, ob der Krisen in denen wir als Menschheit just stecken, als fast wünschenswerte Ausgänge.

Auch wenn der bespielte Ausstellungsraum vielleicht nicht die Sogwirkung entfaltet, die Jägers Bildwelten immanent ist, als Landschaft gedacht ist er selbst „Topografie“ und „verschiebt“ Dystopie in Utopie zum Übergang in einen Denkraum möglicher Zukunftsversionen, in denen die Hoffnung zwar schwarz aber mit Tusche aus Kiefernruß gezeichnet ist, das Grün also Goldwert bleibt.