Sabine Hertig: Bilder zeitgenössischer Reizüberflutung

Porträt
10. September 2019
Text: Annette Hoffmann

Sabine Hertig, Reverberate.
Stampa, Spalenberg 2, Basel.
Dienstag bis Freitag 12.00 bis 18.30 Uhr, Samstag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 26. Oktober 2019.

Zeit/Ge/Schichten.
Kunsthaus Baselland, St. Jakob-Str. 170, Muttenz/Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 10. November 2019.

www.sabinehertig.ch

 

Irgendwann braucht es dann einfach den Besen. Sabine Hertigs Werke produzieren zu ihren Füßen riesige Papierberge, ganze Höhenzüge haben sich in ihrem Atelier auf dem Dreispitz ausgebildet. Da hilft es, alles mal zusammenzufegen. Erst wenn man die Massen an Papier in Angelo Alfredo Lüdins Film „Sabine Hertig. Scrap. Exploring the Edge“ gesehen hat, versteht man die Bedeutung des Analogen für ihre Collagen. Wo gehobelt wird, fallen viele Späne. In Basel kann man das Werk von Sabine Hertig (*1982) derzeit gleich an zwei Orten sehen. In ihrer dritten Einzelausstellung in der Galerie Stampa sind neue farbige Collagen und Schwarz-Weiß-Kompositionen zu sehen und im Kunsthaus Baselland drei Großformate. Diese drei „Landscapes“ stehen im Kontext der Gruppenschau „Zeit/Ge/Schichten. Von kollektiven und persönlichen Narrationen“. Viele Erzählungen sind in das Sediment von Hertigs Bilder eingesunken, geht man näher, glaubt man, es hätte so manches einzelne Leben zermalmt.

Den Bezug zum Außen hatten die Collagen der Basler Künstlerin, die an der HGK Kunsterziehung studiert hat, immer schon. „Hier findet Welt statt“ hieß eine Arbeit, die 2013 in der ersten Ausstellung in ihrer Galerie zu sehen war. Der Satz war in das Papier perforiert. Und wenn die ersten Arbeiten überwiegend farbig und wie ein Strudel um eine leere Mitte organisiert waren, sind die Kompositionen komplexer geworden.

Nicht grundlos betont Sabine Hertig die Materialität ihrer Arbeiten. Sie müsste sich nicht die Mühe machen, sich mit großer Papierschere und einer beeindruckend skrupellosen Verve durch die Bilderberge zu schneiden. Sie könnte es auch leichter haben und alles am Bildschirm arrangieren. Tatsächlich braucht sie den Computer in ihrer Arbeit als Medium der Bildentstehung und ständiger Überprüfung. Die Bedeutung des Analogen und des Materials zu übersehen, hieße jedoch auch ihren eigentlichen Charakter zu missdeuten. Hertig versteht ihre Arbeiten als Bilder und als Malerei. Die Leinwände sind grundiert und mit einer meist anthrazitfarbigen Schicht versehen, auf die sie die Grundkomposition zeichnet. Die ersten Setzungen geschehen meist mit ganzen Seiten, dann wird es Schicht um Schicht differenzierter und die Schere kommt zum Einsatz. Hertig dürfte für jeden Bibliothekar eine Herausforderung sein, sie füllt ihren Warenkorb mit Motiven. Alles ist für sie interessant, alte Du-Hefte, Kunstgeschichtliches wie Zeitgeschichtliches. Wer näher hintritt, erkennt viele vergangenen Katastrophen, aber auch Körper, denen sie kurzerhand den Kopf abschneidet. Alles ist der Dynamik der Komposition unterworfen, im Detail jedoch wiederholt sich die Sprengkraft zeitgenössischer Bilderflut. Man kann von diesem rasenden Stillstand durchaus überwältigt werden.

Was der Film von Angelo Alfredo Lüdin zeigt, der die Künstlerin ein Jahr lang immer wieder in ihrem Atelier besuchte, Sabine Hertig nimmt ständig Maß, sucht den Abstand, um im Detail nicht die Struktur zu verlieren. Über die letzten Jahre sind die Landschaften rhythmischer geworden. Sie arbeitet an einem Mahlstrom der Geschichte. In den neuen Arbeiten wirken die Kompositionen noch fragmentierter, Rahmen sind eingebaut, über die der Bildkosmos hinweggeht, Reflektionen und Spiegelungen, die alles einer erneuten Prüfung unterziehen.