Wiliam Kentridge: Die Freiheit des Belagerungszustandes

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10. Juli 2019
Text: Annette Hoffmann

William Kentridge: A Poem That Is Not Our Own.
Kunstmuseum Basel Gegenwart, St. Alban-Rheingraben, Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 13. Oktober 2019.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Verlag der BuchhandlungWalther König, Köln 2019, 248 S., 38 Euro | ca. 45 Franken.

www.kunstmuseumbasel.ch

 

Als William Kentridge 1988 seinen dreiteiligen Siebdruck „Art in State of Grace, Hope, Siege“ schuf, galt in Südafrika der Ausnahmezustand und ein Ende der Apartheid war noch nicht in Sicht. Kentridge (*1955) hatte sich da längst entschieden, gegen den Rückzug auf das Schöne, gegen die Hoffnung und für den Belagerungszustand. Nicht abgeschieden von der Gegenwart, sondern mit ihrer Ambivalenz konfrontiert. Die drei Drucke illustrieren die unterschiedlichen Beziehungen von Künstlern zur Welt. „Hope“ etwa spielt deutlich auf Wladimir Tatlin und sein Engagement für den Kommunismus an. Es ist wie die beiden anderen auch auf braunes Papier gedruckt und von expressiver Bildsprache. Überhaupt ist der Einfluss des deutschen Expressionismus auf das Frühwerk des Südafrikaners groß wie sich in seiner Basler Ausstellung „A Poem That Is Not Our Own“ zeigt – mag es an dem engagierten Stil liegen oder bereits an den gescheiterten Utopien der 1920er-Jahre.

Doch bereits um 1980 drängte es Kentridge zum Filmischen. „Protomovies“ nennt er die auffallend vielen Triptychen dieser Jahre, doch er experimentiert auch anders mit narrativen Strukturen. Wie in einem Fächer reiht sich in „Arc/Proces­sion: Develop, Catch up, Even Surpass“ von 1990 eine Szene an die andere, der Titel ergibt sich aus der Reihung der Schlüsselworte der Arbeit. Später wird er in „What will come (has already come)“ das Geschehen auf einen tellerförmigen Spiegel projizieren, der die Bilder dann unverzerrt auf eine Säule reflektiert.

Im Kunstmuseum Basel Gegenwart breitet sich derzeit neben Zeichnungen, Skizzenbüchern sowie Skulpturen die ganze Komplexität von Kentridges Filmschaffen auf drei Etagen aus. Sind die frühen fotografierten Kohlezeichnungen noch durch die Geste des Radierens, Wegnehmens und Zufügens bestimmt, geht er etwa 2018 bei „Kaboom!“ dazu über fertige Blätter vorzulegen, als sei der Film eine Collage, zudem gibt es dreidimensionale Bühnenbildelemente im Vordergrund. Immer wieder werden Blätter vor die Kamera gelegt, die für einen Moment die lineare Ordnung des Films brechen. Ein kurzes und ironisches Video greift dieses Moment als wesentlich für den gesamten Entstehungsprozess der Filme heraus. In diesem Doppelporträt des Künstlers sortieren zwei William Kentridges Seiten, auf denen Worte und Sätze stehen, während sie einander misstrauisch beäugen. Kaum verlässt einer den Raum, greift sich der andere seinen Stapel. Man muss sich das Werk dieses vielseitigen Künstlers als ununterbrochenen Dialog mit sich selbst, mit Vorbildern und Referenzen, den Zeitläuften, vergangenen und gegenwärtigen Menschheitsverbrechen vorstellen.

Doch nichts ist in dieser Geschichtsvorstellung ist vergangen. Nicht die Verbrechen der Apartheid – in „Ubu tells the truth“ werden schwarze Südafrikaner in Zellen gefoltert und ermordet, die sich Raum für Raum zu einem Hochhaus auftürmen. In Kentridges 1996 bis 1997 entstandenem Film ist selbst das Kameraauge Teil des Problems, es lässt Körper explodieren, dazwischen ist dokumentarisches Material geschnitten, die Foltermethoden sind durch Aussagen von Polizis­ten belegt. Und auch die Toten des Ersten Weltkrieges sind nicht vergessen – in „Kaboom!“ verwesen Soldaten auf dem Schlachtfeld, das wieder zur Landschaft wird. So wie zuvor Listen mit Namen und Todesursachen auf dem Screen zu lesen waren und so wie Aufstellungen einer Autofirma als Papier für Zeichnungen dienen. Die auffälligste Bewegung jedoch folgt der Linearität des Filmes, die Kentridge immer wieder zur panoramatischen Sicht werden lässt, es ist die Prozes­sion. Menschen, sei es die schwarzen Träger der europäischen Invasoren, Arbeiter oder Soldaten reihen sich ein. Das Theatralische, das eine Nähe zum Lehrstück aufweist, hat den Charakter eines Gleichnisses.