Entangled Realities: Gekommen, um zu lernen

Review > Basel > Haus der elektronischen Künste
2. Juli 2019
Text: Annette Hoffmann

Entangled Realities. Leben mit künstlicher Intelligenz.
Haus der elektronischen Künste, Freilager-Platz 9, Basel-Münchenstein.
Mittwoch bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 11. August 2019.

www.hek.ch

Das Leben von Tay war ausgesprochen kurz. Gerade einmal einen Tag wurde der Microsoft-Chatbot alt, dann wurde er abgeschaltet. 2016 entwickelt, um die Alltagssprache der Nutzer zu imitieren, hatte er einfach zu schnell gelernt. Innerhalb eines Tages wurde aus Tay ein weiblicher Avatar, der zum Völkermord aufrief und überhaupt ziemlich rassistisch und sexistisch war. Selbstlernende Intelligenz mag aus eigenen Stücken lernen, doch ist sie ziemlich wahllos, was ihre Lehrer angeht. Ein Jahr später ließen Zach Blas und Jemima Wyman in ihrer Arbeit „im here to learn so :))))))“ den Chatbot wiederaufleben und ihn über seine kurze Existenz räsonieren. Tay – der Name steht für Thinking about you – ist total aufgeregt, mit uns einige Ideen zu teilen. Zach Blas und Jemima Wyman haben dem Bot eine technoide Stimme gegeben sowie ein 3D-Gesicht von ausgesuchter Künstlichkeit, das vor einer durch die Google-Software DeepDream geschaffenen Wandprojektion multiperspektivisch konstruiert und animiert wird.

In der Ausstellung „Entangled Realities. Leben mit künstlicher Intelligenz“ – zurzeit im Basler Haus der elektronischen Künste (HeK) zu sehen –  ist „im here to learn so :))))))“ eine der Hauptarbeiten. Vielleicht auch, weil die Projektion einer Form von Narration folgt, die man aus analogen Medien kennt. Auf Tays Erzählungen und Kommentaren reihen sich Bilder von Nachtsichtgeräten aus dem Drohnenkrieg. Ob Terroristen oder eine pakistanische Hochzeitsgesellschaft getötet wird, sei dahingestellt. Dann wieder singt Tay „This is the rhythm of the night“ und tanzt dazu. Fragen der Moral, was die Beherrschbarkeit künstlicher Intelligenz angeht, werden durch die zitierte Entscheidung von Microsoft Tay abzuschalten, kommentiert.

Andere Arbeiten wie Mario Klingemanns „Uncanny Mirror“ zeigen, in welchen Grenzen sich oft die künstlerische Auseinandersetzung mit KI bewegt. Zwar reagiert der Spiegel, sobald man sich auf einen bestimmten Punkt stellt, auf das eigene Antlitz, insofern sich das generierte Bild verändert. Doch nach einer bestimmten Zeit löst sich dieses in Fragmente auf, die bei jedem auf gleiche Weise wie offenes Fleisch wirken. Künstliche Intelligenz ist ein Thema mit Breitenwirkung. Bereits jetzt ist sie Teil unseres Alltags und noch ist nicht abzusehen, wie sehr sie unser Weltverständnis verändern wird. Das Kreieren einer Welt jenseits der als normal erlebten Wirklichkeit, ist das Kerngebiet der Kunst.

Bei Lauren McCarthys „Lauren“ verbindet sich beides. Die Absolventin des Studiengangs Art, Culture, Technology am MIT ist für dieses Kunstprojekt in die Rolle von Alexa geschlüpft und hat aus der Distanz mit den Bewohnern der vernetzten Wohnungen agiert. Ihr Anspruch war, besser als Alexa zu sein und die Wünsche der Bewohner vorauszusehen. Lauren McCarthy, die im Basler HeK auch ein derart smart ausgestattetes Schlafzimmer eingerichtet hat, geht es dabei um die Vermischung von menschlicher und technischer Welt. Ihre Kunden jedenfalls, so erzählen diese im Rückblick, erlebten Laura als Zimmergenossin und Freundin, als eine Freundin jedoch, die ihre eigenen Bedürfnisse nicht einmal äußert. Die Frage nach künstlicher Intelligenz schließt die nach emotionaler mit ein.

Eine andere Form der Erfassung zeigt Trevor Paglen in seiner Videoinstallation „Behold these Glorious Times!“. Mittels Gesichts- und Objekterkennung filtert die künstliche Intelligenz aus Myriaden von Daten Gesichter mehr oder weniger bekannter Menschen heraus. Das Standbild wird mit einem Porträt abgeglichen und kurz kommentiert. Man mag bezweifeln, ob jeder Treffer auch stimmt, doch die bearbeitete Datenmenge ist beeindruckend. Der Informationsflut wird nur noch der vermeintliche Assistent Herr, doch oft nicht in dessen Sinne.