Amelie von Wulffen: Auf du und du mit vergangenen Geistern

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5. Juni 2019
Text: Sandra Hampe

Amelie von Wulffen.
Kunsthalle Bern, Helvetiaplatz, Bern.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 14. Juli 2019.

www.kunsthalle-bern.ch

In unangenehmen und bedrückend düsteren Szenarien treffen Fratzen, Menschen und merkwürdige Tiergestalten, von der Katze bis zum haarigen Monster, in klaustrophobischen Räumen und einer tristen Konsumwelt, die ihre eigene Lethargie mit Netflix-Serien und Eis am Stiel füttert, aufeinander. Dabei streifen die neuesten Arbeiten von Amelie von Wulffen (*1966) Fiktives und Reales einer teils vergangenen, teils zeitgenössisch medialen Welt. Die Kunsthalle Bern zeigt mit rund 80 Exponaten neben Malerei aus den letzten fünf Jahren auch Illustrationen, Keramiken, Kleinplastiken und Installationen.

Amelie von Wulffens Kompositionen spielen mit komplexen Realitätskonstruktionen. Mal geht es traumhaft zu, mal scheinbar alltäglich, manchmal verschwimmen die Grenzen komplett. Auf einer Leinwand, deren Farb- und Lackschichten mit einem neonfarbenen Pink überzogen sind, das stellenweise in feinen Rissen aufplatzt, liegt ein zusammengekauertes Mädchen mit wurzelartig lang gewachsenen Fingernägeln auf einem Sofa. Beäugt von einer Katze. Scheinbar hilflos verharrend in der Unmöglichkeit, das neben ihr stehende Klavier zu spielen. Lethargie, das Gefangensein in einer räumlichen Situation sind Themen, die sich motivisch oder als bloßes Gefühl in Amelie von Wulffens dichten Kompositionen repetitiv fortschreiben.

Schon immer scheint Amelie von Wulffen die Möglichkeiten des malerischen Darstellungsraums auszureizen. Sie studierte an der Akademie der Bildenden Künste München bei Daniel Spoerri und Olaf Metzel, sozusagen an der Quelle der Montagetechnik von Gefundenem und Erfundenem. Bekannt wurde sie mit ihren in den 1990ern entstandenen „Stadtcollagen“, die Architekturfotografien durch Malerei erweiterten und zu neuen Bildobjekten machten. Seit sich von Wulffen um das Jahr 2012 in die Ölmalerei vertieft hat, bedient sie sich rigoros der Darstellungsmodi des kunstgeschichtlichen Kanons, wiederholt Sujets – insbesondere genrehafte Innenräume – und imitiert die Stile von Malern wie Caillebotte, Goya oder Defregger. Als sei das Ganze ein Puzzle bringt sie verschiedene Realitätsfragmente auf der Leinwand zusammen. Oft ganz direkt, indem sie Teile einer gefundenen Malerei einfügt. Immer wieder verdichtet sie ihr Werk dabei mit narrativ biografischen Bezügen.

Die Kunsthalle Bern zeigt in der aktuellen Ausstellung gleich mehrere Arbeiten von Wulffens, die in Auseinandersetzung mit ihren süddeutschen Wurzeln entstanden sind. Bürgerliche Handwerkskunst, das Beklemmende deutscher Kultur und Geschichte, inklusive virulenter Schuldfragen, werden in schweigenden rustikalen Tischgesellschaften („Ohne Titel“, 2016) oder in einem von ihr bemalten Beichtstuhl („Grande Séléction“, 2018) präsent. Diese heraufbeschworenen Geister der Vergangenheit vermischen sich in der Ausstellung mit gesellschaftlich gegenwärtigen Erscheinungen, die einem Net-TV Serien-Kosmos entspringen. Mit dem Titel „Mädchen hinter Gittern“ (2018) hat Amelie von Wulffen einem alten Bauernschrank – die traditionelle Mitgift – ein Dekor aus Vorschaubildchen von Filmen und Serien des Streaming-Anbieters Netflix aufgemalt. Sind die vergangenen Geister nur eklektizistisch genug, dürfen sie in der Gegenwart bleiben. Und genau hier liegt die Besonderheit in Amelie von Wulffens Arbeiten, insbesondere in ihrer Malerei: sie suchen den exakten Punkt, an dem die Ungleichheit zwischen Fiktion, Realität, Jetzt und Damals zwar präsent, doch so ausbalanciert ist, dass diese nicht in Differenzen zerfallen, sondern einen vielschichtigen Blick auf die Gegenwart möglich machen.