Nora Kapfer bei Lars Friedrich, Berlin, Liste – Art Fair Basel, Warteck PP, Burgweg 15, Basel.
www.gallery-weekend-berlin.de
www.liste.ch
Auf der Website des Brüsseler WIELS, wo Nora Kapfer (*1984) vor drei Jahren als artist-in-residence eingeladen war, geben ein paar Ausstellungsansichten Einblick in ihre damalige Arbeit. Vor einem ihrer Bilder ist eine Sperrholzrampe aufgebaut, daneben warten ein paar dürre Stahlplastiken in wackligem Strichfiguren-Look. „Crossing the Water by Skateboard” lautete der Titel der Installation. Im WIELS entwickelte die heute in Berlin lebende Künstlerin auch die Werkgruppe „New Tar”, mit der sie zu ihrem Material fand: Bitumen, auch Erdpech oder Naturasphalt genannt. Die dunkle, zähflüssige Masse kommt in geringen Mengen natürlich vor oder wird durch Aufbereitung von Erdölen gewonnen. Seit der Antike wird Bitumen als Werkstoff und Farbe verwendet. Heute findet es seinen Einsatz vor allem als Abdichtungsmaterial im Bauwesen und im Straßenbau zur Herstellung von Asphalt.
Nora Kapfer, die nach einem Geschichts- und Medienwissenschaftsstudium an der LMU München freie Kunst an der Akademie der Bildenden Künste Wien und an der Kunstakademie Malmö studierte, realisiert mit Bitumen poetische Gemälde. Die mittelgroßen, oft annähernd quadratischen Formate strahlen durch ihre Monochromie Klarheit und Ruhe aus. Das ölige, erdige Braun der zähflüssigen Farbmasse changiert je nach Dichte des Auftrags zwischen einem gesättigten, fast schwarzen Ton und einem lasierenden, warmen Kastanienbraun, als würde das Bild von hinten beleuchtet.
Auf die teils matte, teils glänzende Oberfläche der Leinwände oder, bevorzugt, Holzplatten trägt Kapfer collageartig Motive aus Papier auf. Wie Scherenschnitte heben sich organische Formen von Körperteilen, Eingeweiden oder Pflanzen ab. Silhouetten eines Frauenkörpers im Profil, einzelne Knochen, aber auch innere Organe wie zwei Lungenflügel oder ein sich schlängelnder Darm bilden vielfach ornamentale Strukturen. Dazwischen Federn, Herzen, Sterne und immer wieder florale Elemente wie der charakteristische Umriss der Oleanderblüte. Ausgeschnitten, aufgeklebt und angeordnet, lassen die applizierten Formen verschiedene Figur-Grund-Verbindungen entstehen. Mal heben sich die einzelnen Motive deutlich vom dunklen Grund ab, mal scheinen sie von diesem überlagert zu werden und geben sich erst im Gegenlicht gut zu erkennen. So können je nach Lichteinfall die Bilder wie Aufsichten auf eine dunkle, spiegelnde Wasserfläche wirken. Dann beginnen die einzeln gesetzten Blumenmotive wie Seerosen auf einem nächtlichen Teich zu schwimmen oder aus einer dunklen Tiefe aufzutauchen.
Nicht nur mit den feinen Unterschieden des Lichteinfalls auf der Oberfläche, auch mit den sich verändernden Zuständen des Materials selbst spielt Nora Kapfer in ihren Bildern. Je nach Temperatur und Mischverhältnis mit Lösemitteln ändert Bitumen seine Viskosität. Zum Einen ist es dick, schwer, klebrig, ölig und wird nie ganz trocken, zum anderen kann es durch Hitze wieder verdünnt und verflüssigt werden. So wie das Material in verschiedenen Aggregatzuständen, scheinen die Formen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion zu pendeln. Diese Dynamik, verbunden mit einer entschiedenen Reduktion, verleiht den Bildern von Nora Kapfer eine faszinierende Tiefe, die eine mußevolle Betrachtung erfordert.