58. Biennale Arte di Venezia: Gemeinsam der Repräsentationsfalle entgehen

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1. Juni 2019
Text: Leon Hösl

58. Venedig Biennale.
Arsenale und Giardini, Venedig.
Bis 24. November 2019.

www.labiennale.org

Natascha Süder Happelmann, die Künstlerin des Deutschen Pavillons, hält ihren Kopf unter einer steinartigen Maske versteckt und schweigt. Helene Duldung kommuniziert als ihre Sprecherin bei sämtlichen öffentlichen Auftritten stellvertretend mit der Presse. Wie der Steinkopf ist auch der Name eine Tarnung. Eine Mischform von eingedeutschten Schreibweisen und falschen Aussprachen des eigentlichen Namens der Künstlerin, Natascha Sadr Haghighian. Natürlich ist Helene Duldung ebenfalls ein Pseudonym, das neben der Duldung von Geflüchteten auch auf die legitimierenden nationalstaatlichen Kulturinstitutionen bezogen werden könnte, welche ausgewählten Künstlern alle zwei Jahre einen Auftritt auf deutschem Ausstellungs-Territorium in der italienischen Lagunenstadt zubilligen.

Die Installation im Deutschen Pavillon mit dem Titel „Ankersentrum (Surviving In The Ruinous Ruin)“ ist massiv und rau: Die Wände wurden nicht renoviert und zeigen die Bohrlöcher der letzten Ausstellung; eine meterhohe Staumauer durchteilt den Ausstellungsraum und hält damit der europäischen Abschottungspolitik den Spiegel vor; Betonabgüsse von Steinen liegen in einer traurigen, angetrockneten Flüssigkeit. Auf der anderen Seite der Wand zeigt sich der kollektive Akt, der hinter dem Projekt steckt: Musik dringt aus Lautsprechern, komponiert von sechs Musikern, alle verwenden Trillerpfeifensounds – ein Verweis auf die Nutzung der Pfeifen als gemeinschaftlicher Warnmechanismus in Flüchtlingsunterkünften. Und auch abseits der eigentlichen Ausstellung, in der umfangreichen Publikation und im Rahmenprogramm, lässt die deutsche Künstlerin eine Vielzahl von Personen zu Wort kommen und befüllt damit ihr „Ankersentrum“ mit einer diskursiven und musikalischen Vielstimmigkeit.

Mit dem Vertrauen auf die Wirkungskraft kollektiver Praxis, sowie der unterschwelligen Kritik am Prinzip der nationalen Repräsentation durch Länderpavillons, sticht der deutsche Beitrag in Venedig zwar heraus, ist damit aber glücklicherweise nicht alleine.

„Der Begriff des Nationalstaats ist ebenso überholt wie das Patriarchat“, sagt auch das Miracle Workers Collective, eine Gruppierung aus Künstlern, Filmemachern und Kuratoren im Finnischen Pavillon. Einige der Beteiligten gehören den Sami an und sind damit die ersten Kunstschaffenden dieser Herkunft, die im Finnischen Pavillon ausstellen. Eigens für die Biennale zusammengeschlossen, sucht das Kollektiv nach Wegen, durch die Aktivierung indigenen Wissens die Dominanz westlicher Episteme herauszufordern. Wanderstöcke, von samischen Künstlern aus verschiedenen Regionen hergestellt, deuten auf den Widerspruch zwischen Ländergrenzen und der Lebensweise der Sami hin, deren Kultur sich zwischen finnischem, norwegischem, schwedischem und russischem Territorium verortet. Die Präsentation gibt dabei keine klare Autorenschaft preis, da sie gerade nicht repräsentieren möchte. Es wird kein einheitliches Bild erzeugt, um zu verhindern, als Stellvertreter einer „ethnische Minderheit“ in koloniale Strukturen zurückzufallen.

Im Griechischen Pavillon weist die Kuratorin Katerina Tselou auf akute politische Gefahren nationalistischer Politik hin. Sie nimmt das siebzigjährige Jubiläum des Endes des griechischen Bürgerkriegs, auch eine Folge des Zweiten Weltkriegs, zum Anlass, um auf die Geschichte des Pavillons zu blicken. Dafür hat Zafos Xagoraris ein neues Eingangsportal geschaffen, das die Jahreszahl 1948 trägt, dem Jahr, in dem der Pavillon aufgrund des Bürgerkrieges geschlossen blieb. Peggy Guggenheim nutzte den Leerstand damals prompt für die Präsentation ihrer Sammlung. Es ist eine traurige Parallele, dass Venezuela heute in einer ähnlichen Situation ist. Während zwei Präsidenten die Landesführung beanspruchen, öffnet ihr Pavillon mit Verspätung.

Die Beiträge Ghanas und Litauens zeigen ebenfalls die Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Für Ghana hat der prominente Architekt David Adjayes die Werke der sechs teilnehmenden Künstler, darunter Ibrahim Mahama, El Anatsui und Lynette Yiadom-Boakye, in ein räumliches Gesamtgefüge integriert, das gekonnt traditionelle westafrikanische Bauweisen aufgreift ohne ethnografisch zu wirken. Der mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Pavillon Litauens ist eine Strandoper, die humorvoll und bildstark konsumorientierte Lebensstile vorführt. „Sun & Sea (Marina)“ ist das Gemeinschaftswerk einer Regisseurin, einer Schriftstellerin und einer Musikerin. Auch Künstlerduos sind zu sehen: Pauline Boudry und Renate Lorenz lassen im Schweizer Pavillon rückwärts tanzen und spielen dazu Hits wie „This Is America“ verkehrt herum ab. Das Kollektiv nabbteeri bringt im und um den Nordischen Pavillon die Hinterlassenschaften kleinster Mikroorganismen und Insekten der venezianischen Biosphäre zum Vorschein.

Dagegen überrascht die von Ralph Rugoff kuratierte Hauptausstellung der Biennale mit starken Singularitäten. Zwar versucht der US-amerikanische Kurator durch eine verhältnismäßig kleine Anzahl von 79 Künstlern den Werken mehr Raum zu verschaffen, jedoch wird dies durch fahrig kombinierte Nachbarschaften wieder zunichte gemacht. Auch die Ideen, einzelne Werkserien mehrmals auftauchen zu lassen und Künstler immer zweimal zu zeigen, laufen ins Leere, da sie die Unverbundenheit der Arbeiten nur zusätzlich betonen. Selbstverständlich gibt es dennoch spannende Entdeckungen und gut produzierte Arbeiten zu erleben. Die Fotografien von Gauri Gill, Soham Gupta, Mari Katayama und Martine Gutierrez gehören dazu, Hito Steyerl und Arthur Jafa zeigen neue, komplexe Videoarbeiten.

Doch immer wieder kommt es zu so platten Gegenüberstellungen wie der einer aus Mexiko antransportieren Mauer mit Einschusslöchern (Teresa Margolles), mit einem Roboterarm (Suan Yuan und Peng Yu), der eine zähe, blutähnliche Flüssigkeit in einem Glaskasten auf dem Boden verteilt. Am meisten diskutiert wird das Werk mit den wenigsten Erklärungen: Christoph Büchel ist es gelungen, das Wrack eines im Mittelmeer gesunkenen Flüchtlingsboots zu erwerben und stellt es nun in den Arsenale aus. Bei dem Unglück starben über 800 Menschen. Es ist erschütternd, diesem Schauplatz menschlichen Leidens so direkt gegenüberzustehen. Jedoch wirkt es gleichermaßen deplatziert und falsch. Büchel verweigert sich, das Werk zu kontextualisieren, die es umgebende Ausstellung ist in ihrer lauten Wirrheit ebenfalls nicht dazu in der Lage.

Dies macht deutlich, wie wichtig es ist, gerade im Rahmen einer Großveranstaltung wie der Biennale, auf Vielstimmigkeit zu setzen und entsprechende Widersprüchlichkeit auszuhalten, anstatt schockierende Readymades als Trophäen der eigenen politischen Haltung zu präsentieren. Wenn der Steinkopf mit menschlichem Unterleib in einem Video, das auf der Website des deutschen Pavillons abrufbar ist, im Hafen neben der Iuventa steht, dem Schiff einer Seenotrettungsorganisation, das seit 2017 auf Lampedusa festgesetzt ist, stößt dies den Finger viel tiefer in die Wunde der europäischen Grenzpolitik, ohne dabei in der Anklage zu erstarren.