Unbehaust. Pedro Wirz, A Curbing wall of debris/landfilling: Zwischen Nest und Haus

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27. Mai 2019
Text: Helen Lagger

Unbehaust. Mit Anja Braun, Leo Hofmann, Daniel V. Keller, Lynne Kouassi &Daniel Dressel und Rebecca Kunz.
Pedro Wirz: a curbing wall of debris\landfilling.
Kunsthaus Langenthal, Marktgasse 13, Langenthal.
Mittwoch bis Freitag 14.00 bis 17.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 23. Juni 2019.

www.kunsthauslangenthal.ch

Es rauscht und zwitschert, brummt und dröhnt im Kunsthaus Langenthal. Ursache dafür ist die aktuelle Ausstellung „Unbehaust”, bei der Töne eine fast so wichtige Rolle wie das Visuelle spielen. Kuratorin Eva-Maria Knüsel hat fünf Kunstschaffende dazu eingeladen, über Architektur, Lebensräume und Nomadentum im Zeitalter der Digitalisierung nachzudenken.

Ausgegangen ist Knüsel dabei von einer Aussage des Medienphilosophen Vilém Flusser, der bereits in den Neunzigerjahren davon sprach, dass sich das Unbehaustsein dank Mobilität und Kommunikation zunehmend zuspitzen werde. Die Künstlerinnen und Künstler – alle in den 1980er- und 1990er-Jahren geboren – spielen gekonnt mit der Architektur des Kunsthauses, das eine dankbare Spielstätte für dieses Thema liefert.

Der Komponist, Sound- und Performancekünstler Leo Hofmann (*1986) zieht gleich für eine ganze Woche ins Langenthaler Kunsthaus ein, um hier seine Eindrücke zu einer Videodokumentation zu verarbeiten. Am radikals­ten hat die Berner Künstlerin Rebecca Kunz (*1986) in die Architektur des Hauses eingegriffen. Sie lässt die Besucher durch einen eigens für die Ausstellung eingebauten schmalen Korridor in ein weisses Zimmer mit merkwürdig fahlem Licht gehen. Eine alte Tür, die sie im Estrich des Kunsthauses gefunden hat, liess sie kurzerhand wieder einbauen. Im letzten Raum der Installation stellt sich schliesslich eine gewisse Beklemmung ein. Graue Plastikstühle, eine Neonröhre und die Abwesenheit eines Fensters lassen an einen Verhörraum denken. Kuratorin Knüsel spricht von „narrativen Szenarien”. Man muss an die Situationisten denken, die in den 1960er-Jahren durch feine Interventionen für irritierende Raumerlebnisse sorgten.

Das Künstlerduo Lynne Kouassi (*1991) und Daniel Dressel (*1985) hat mit der 2-Kanal-Videoinstallation „Habitat” von 2019 ein schönes Sinnbild für Migration geschaffen. Im Londoner Tropenhaus haben die beiden Kunstschaffenden eine Kolonie von in England heimischen Rotkehlchen entdeckt. Die Eindringlinge haben offensichtlich die künstlich geschaffene Exotik dem Draussen vor der Tür vorgezogen. Parallel zu diesem Video, in dem die Vögel sich putzen oder nach Nahrung suchen, läuft ein Film mit grünen Sittichen, die sich – ebenfalls in London – in der urbanen Wildnis angesiedelt haben. Beide Lebensmodelle vermischen sich im gemeinsamen Gezwitscher.

Die von Raffael Dörig, Leiter des Kunsthauses, in Zusammenarbeit mit dem Centre Culturel Suisse in Paris konzipierte Einzelausstellung des Künstlers Pedro Wirz (*1981) knüpft wunderbar an „Unbehaust” an. Auch im Werk des schweizerisch-brasilianischen Künstlers spielen Lebensräume eine wichtige Rolle. Der vertrackte Titel „A curbing wall of debris\ landfilling. Pedro Wirz” verweist auf das komplexe Zusammenspiel zwischen von Menschenhand Geschaffenem und Organischem. Dabei schöpft der in Brasilien geborene und aufgewachsene Künstler auch aus der eigenen Biografie. Seine Eltern betätigten sich als Biologen und Agronomen. Der Vater hatte eine Forschungsanstalt für Froschzucht. Im märchenhaften Universum des Künstlers taucht das Tier in Form von Bienenwachs skulpturengleich mehrfach auf. Man geht auf angehäuftem Kompost über unebene Böden und entdeckt dabei Objekte irgendwo zwischen Nest und Haus, einen purpurfarbenen Theatervorhang und einen abstrahierten Kobold aus der brasilianischen Mythologie. Dieser sogenannte Saci trägt angeblich ein rotes Mützchen, raucht Pfeife und sorgt für Irritationen, ohne schweren Schaden anzurichten. Ein Alter Ego dieses vor Fantasie überbordenden Künstlers?