El Anatsui: Triumphant Scale.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 28. Juli 2019.
Kann man sich großartiger in das Vibrieren dieser Welt einschreiben? „Triumphant Scale”, Titel der aktuellen Ausstellung im Münchner Haus der Kunst, könnte auf den ersten Blick Hybris vermitteln, ein Hinweis auf eine alles überragende Form sein. In mancher Hinsicht ist es auch genau das, was man in dieser Ausstellung sehen und erfahren kann. Die Arbeiten von El Anatsui (*1944) sind von einer Dimensionierung, die ein vorher angenommenes Maß deutlich übersteigt. Dass sie noch in die ohnehin gewaltigen Räume im Haus der Kunst passen, erscheint als ein Wunder. Anatsuis „Triumphant Scale” nimmt die Architektur auf eine Weise ein, die sich aus einer anderen Logik herleitet, aus der Qualität ihrer Materialität, aus dem Prozess ihrer Entstehung. Die Größe ist eine Folge ihrer Mikrostruktur. Die Vereinnahmung des Museums, auch des Musealen, ist eine Verkettung spezifischer Details, der Skalierung selbst.
Ein unendliches Meer aus metallenen Flaschenverschlüssen fügt sich zu gewaltigen Installationen zusammen. Es ist das Material, das Anatsui für seine Arbeiten appropriiert hat. Die Reste, der Abfall, die ausgespuckten Überbleibsel der Spirituosen, von Europa nach Afrika gebracht, werden zerschnitten, gerollt, gepresst, verdreht und miteinander verkettet, mit Kupferdrähten zu gigantischen vielfarbigen oder monchromen Gebilden verwebt. Sie sind Zeugnisse einer langen Geschichte, der wirtschaftlichen, politischen, auch sozialen Beziehung zwischen den Kontinenten, werden aneinandergefügt in endlosen, offenen Systemkomplexen. Man kann dies nicht als Aneinanderreihungen, auch nicht als Serien sehen, es sind Transformationen, Pixelanhäufungen, Überschwemmungen. Das Zentrum ist in sie hineingelegt und hat sich ins Grenzenlose multipliziert. In den späten Siebzigern hat Anatsui an „Broken Pots” begonnen zu arbeiten. Ein Topf besitzt eine eindeutige Funktion, sein Zerbrechen ist nicht sein Ende. Er verwandelt sich in eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten, sein partikularisiertes Nachleben amalgamisiert sich mit einem Reich von Zugriffsbedürfnissen.
Wie eine „zweite Welle” – so der Titel der größten Arbeit an der Außenfassade – erscheint diese Ausstellung. Für Chika Okeke-Agulu, der „Triumphant Scale” zusammen mit Okwui Enwezor, dem kürzlich verstorbenen ehemaligen Direktor des Hauses der Kunst kuratierte, stehen die Begegnungen mit Anatsui fast paradigmatisch für das Denken eines postkolonialen Umgangs mit der Kunst. Es geht dabei nicht um die geografische Erweiterung auf ein globales Feld, die Ausdehnung des westlichen Kanons. In der Rückkopplung verändert sich der Begriff der Kunst selbst. Die Erweiterung des Kunstbegriffs meint hier ein Abrücken von der Vorstellung des Zentrums, den Verzicht auf das große Narrativ der Kunst. Man könnte darin das Erbe Enwezors sehen, dass die Multiplikation der Narrative, ihre Vielheit zu ganz anderen Vernetzungen und Verbindungen führt, dass Anfang und Ende unergründlich sind. Nicht die Überschaubarkeit der Kunst ist das Reizvolle, es ist ihre Unüberschaubarkeit, die Möglichkeit zu immer neuen und anderen Begegnungen, auch die Hinwendung zu ihrem dynamischen Potential.
In engern Sinn lassen sich die Arbeiten von Anatsui nicht als Werke bezeichnen. Dort, wo sie auftauchen, nehmen sie eigene Formen an. Sie sind nie mit sich selbst identisch. Auch verweigert er sich den elaborierten Handhabungen von Kunstobjekten – den klimatisierten Hochsicherheitsboxen oder unveränderlichen Aufbauvorschriften. Vielfach unterläuft er damit die musealen Kulturtechniken, die ihre Bedeutung auch im Umgang mit der Kunst als Ware mit großer Wert-Evaluation herschreiben. Kollektive Produktionsvorgänge wie das Einschleusen ins Betrachten binden sich an Transformationsprozesse, sind nicht vorhersehbar, nicht berechenbar. Okwui Enwezor hat mit der jahrelang von ihm vorbereiteten Ausstellung „Triumphant Scale” eine Vorgabe hinterlassen. Am Anfang seiner Münchner Zeit äußerte er die Absicht, das Haus der Kunst zum Schweben zu bringen. Dieses Schweben findet gerade statt. Die weitere Geschichte des Hauses nun kann und sollte sich das zum Vorbild nehmen.