Clément Cogitore: Part I.
Kunsthaus Baselland, St. Jakob-Str. 170, Muttenz/Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 28. April 2019.
Clément Cogitore: Part II vom 16. Mai bis 7. Juli 2019.
Ein Mann mit Ohrenmütze löst sich aus der Runde, den Kopf gesenkt, die Hände sind vor dem Brustkorb gespreizt, die Arme schnellen nach vorne, alle anderen wippen mit, dann betritt ein zweiter den Kreis, kurz darauf greifen sich zwei Frauen an den Händen und beginnen zu tanzen. Irgendwann, da läuft Clément Cogitores Film „Les Indes galantes“ im Kunsthaus Baselland schon ein paar Minuten, lässt sich ein junger Mann nach hinten fallen und wird aufgefangen. Krumping mag sozialen Frust verarbeiten, aber formt auch den Zusammenhalt der Gruppe. Der Filmtitel bezieht sich auf die gleichnamige Oper Jean-Philippe Rameaus und einmal mehr zeigt sich, Barockmusik ist von einer solchen Emotionalität, dass sie nicht allein für ihre eigene Zeit taugt.
Was Clément Cogitore (*1983) mit seiner Arbeit geschaffen hat, ist ein Leichtes und Schweres zugleich. Der gebürtige Colmarer hat eine multi-ethnische Gruppe junger Frauen und Männer aus den Banlieues auf die dramatisch ausgeleuchtete Bühne der Pariser Oper gebracht, wo sie das performen, was in den 1990er Jahren in Los Angeles als Ventil für Rassismus und soziale Unterdrückung aufkam: Krump. Und doch ist „Les Indes galantes“ keines dieser gutgemeinten Kulturprojekte. Rameau hat in seiner Oper den edlen Wilden in der Türkei, Peru, Persien und Nordamerika gefeiert. Die „indianischen“ Tänze, die Teil der Oper sind, hatte er in Paris durch eine Wandertruppe kennen gelernt. Der aufklärerische Impuls, den Fremden nicht als Feind, sondern als irgendwie schön, aber eben unkultiviert, darzustellen, wirkt heute so naiv wie kolonialistisch. Mit dieser Ambivalenz arbeitet der Filmer und Fotograf Clément Cogitore, denn auch die jungen Erwachsenen aus den Banlieues werden mit Ressentiments sowie mit wohlmeinenden Vorurteilen bedacht. Die Aufführung jedenfalls war ein derart großer Erfolg, dass im Herbst nicht nur zu einem der vier Akte getanzt wird, sondern über die ganze Länge der Oper.
In Clément Cogitores Arbeiten gibt es oft derartige Überlagerungen. Am deutlichsten wird dies in einer titellosen Arbeit aus dem Jahr 2017. Die Found-Footage-Sequenzen aus der Höhle von Lascaux, sie sind in den 1980er Jahren im Original entstanden, werden mit einem 16mm-Projektor auf die Wand geworfen. Cogitore hat über sie einen Film mit flatternden Schmetterlingen gelegt, die nun wie Fledermäuse die Höhle zu erkunden scheinen. Das kurze Leben eines Falters wird das Alter der Malerei aus der Steinzeit gegenübergestellt, fragil jedenfalls sind sie beide. Im letzten Jahr wurde Cogitore der renommierte Marcel-Duchamp-Preis verliehen. Die Ausstellung im Kunsthaus Baselland bettet die folgende Präsentation seines prämierten Films „The Evil Eye“ ein, der ab Mai zu sehen sein wird und sich mit stereotypischen Bildern befasst. Meist kreuzen sich mit den Bildebenen Hoch- und Popkultur. In „Élegies“ aus dem Jahr 2014 untertitelt Cogitore den Mitschnitt eines feiernden Konzertpublikums mit Rilkes „Duineser Elegien“ als ob er wechselseitig ihre Virulenz testen wollte. So wie er die fiktive Narration am gelebten Leben überprüft, indem er sowohl mit inszenierten und dokumentarischen Sequenzen arbeitet.
Dass das Auge getäuscht werden kann, steht dieser Ausstellung wie ein Vorwort voran. Eine frühe, 2006 entstandene Arbeit zeigt ein blindes romanisches Fenster, das auch eine illusionistische Malerei sein könnte. Doch deuten die Ranken nicht eher auf mehrere kurz aufeinander folgende Gewölbe? Den Ausblick auf eine dahinterliegende Landschaft jedenfalls wird dem Betrachter verwehrt. Nicht zufällig finden sich oft derart selbstreflexive Elemente, wie die Handyscreens der Konzertbesucher, der 16mm-Projektor oder merkwürdige Lichterscheinung, wie man sie aus der Frühzeit der Fotografie kennt, Cogitore weiß, wir stecken in Höhlen und haben es mit den Schatten der Bilder zu tun und er weiß um ihre Verführungskraft.