Julian Irlinger

Porträt
1. März 2019
Text: Jolanda Bozzetti

Julian Irlinger: Fragments of a Crisis.
Wilhelm Hack Museum Ludwigshafen – Rudolf-Scharpf-Galerie, Hemshofstr. 54, Ludwigshafen.
Donnerstag bis Sonntag 13.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 28. April 2019.
Julian Irlinger: Props. Spector Books, Leipzig 2018, 116 S., 28 Euro.

www.wilhelmhack.museum/museum/rudolf-scharpf-galerie

www.galeriethomasschulte.de/artist/julian-irlinger

 

Am Anfang steht für Julian Irlinger (*1986) das Sammeln. Er interessiert sich für Bilder aller Art: analog wie digital, Comics, Illustrationen, Reproduktionen. Diesen Bilderfundus analysiert er auf der Suche nach Details und Besonderheiten, die einer historisch festgelegten Betrachtungsweise entgangen sein könnten. So etwa in seiner jüngsten Serie, die nun im Wilhelm Hack Museum in Ludwigshafen unter dem Titel „Fragments of a Crisis“ zu sehen ist. Ausgangspunkt dafür ist Notgeld aus der Zeit der Weimarer Republik. Kunstvoll gestaltete Papierscheine, die insbesondere in den Krisenjahren 1918-1923 zum Einsatz kamen. Irlinger trug zahlreiche dieser Scheine, die heute antiquarisch als Kuriositäten gehandelt werden, zusammen. Da die einzelnen Städte und Gemeinden jeweils ihr eigenes Notgeld druckten, gibt es dieses in über 100.000 verschiedenen Gestaltungsformen. Meist waren regionale Künstler damit beauftragt. Die künstlerischer Qualität dieser Papierscheine wurde bis heute jedoch kaum wahrgenommen – zu groß ist der ästhetische Kontrast zur Avantgardekunst der damaligen Zeit.

Irlinger isoliert die bildlichen Motive aus den einzelnen Geldscheinen, indem er Fragmente einscannt und als reine Bilder neu abdruckt: Fabrikgebäude, Männer bei der Arbeit auf dem Feld, Frauen beim Spinnen von Wolle. Exotisierende Darstellungen ehemaliger Kolonien. Das Notgeld ist hier nurmehr als digital reproduzierter Ausschnitt zu sehen. Durch die Fokussierung auf die rein bild­lichen Komponenten geht er der Ideologie auf den Grund, die diese Motive transportieren: idealisierte deutsche Landschaften, Bilder von Ernte und Feldarbeit, Kolonial-Politik, aber auch bissige Kommentare zur Armut in der Bevölkerung nach dem Ersten Weltkrieg. Aus ihrem zweckgebundenen Kontext herausgelöst, entwickeln diese Bilder neue Narrative.

Julian Irlinger, der vor seinem Studium der freien Kunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig sowie an der Städelschule Frankfurt zunächst Kunstgeschichte studiert hatte, nähert sich dem Kunstschaffen von der konzeptuellen Seite. Er ist Analytiker, geht die Produktion von Kunst stets von einer Metaebene aus an. In der früheren Serie „Props“ untersucht Irlinger die Ästhetik virtueller Museumsrundgänge am Beispiel der New Yorker Frick Collection. Je zwei Screenshots desselben Details – der eine offiziell vom Museum angeboten, der andere von Google – überlagert er als Lentikulardruck. So entstehen Kippbilder, die das gleiche Sujet, etwa Ausschnitte von Interieurs, Skulpturen oder Pflanzen im prachtvollen Gebäude der Sammlung, aus zwei leicht unterschiedlichen Perspektiven zeigen. Ein klarer, eindeutiger Blick auf das Gezeigte bleibt verwehrt. Vielmehr soll die Aufmerksamkeit auf die Wechselwirkungen von Kunst, Öffentlichkeit und Ökonomie gelenkt werden. Durch Stillstellung in großformatiger, analoger Präsentation, verleiht Irlinger zugleich flüchtige, digitale Aufnahmen, die normalerweise nur für einige Augenblicke am Bildschirm zu sehen sind, den Status von Gemälden.

In der Kunsthalle Darmstadt arrangierte er die „Props“ unlängst als dynamische, sich im Laufe der Ausstellungszeit verändernde Installation: Bilder wurden abgehängt, andere hinzugefügt, neu arrangiert. Eine weitere Ebene in Irlingers vielschichtiger Reflexion über die Wahrnehmung von und den Umgang mit Kunst in unserer Zeit.